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Jugend in der DDR

Politik?

Mein Verhältnis zum Staat ähnelte dem zu meinen Eltern: ein nicht ganz kleiner Teil meines Lebens drehte sich darum. Nichts schrie lauter nach Widerspruch und Wahrheit als dieses System und trotzdem lebte und lachte ich darin. Der Staat ernährte mich - wortwörtlich. Ich war Angestellter beim Rat des Stadtbezirks Berlin-Marzahn und hatte eine grüne Klappkarte, die so ähnlich aussah wie die des Stasivolks. Prima für manche Eulenspiegelei.

Peter M. Buhr, Webmaster der ZEIT, wuchs in Berlin auf. 1988 war er Soldat in der Nationalen Volksarmee.

Es gab immer zwei klar getrennte Welten: die offizielle und die private. Es machte mir wenig aus, auf der wöchentlichen Betriebsversammlung die Mitteilungen der Partei im Halbschlaf zu ertragen und abends zum Friedenkreis zu gehen. Zumindest, bevor ich zu Armee kam, die meine Aversion gegen den Staat bald stärkte.

Politikverdrossenheit ist da nicht das richtige Wort, es war etwas zwischen Wut und Resignation. Die staatlichen Jugendorganisationen waren schlicht eine Farce – und das war jedermann klar. Abgesehen vielleicht von den beruflichen FDJ -Leitern – die fanden ihre Organisation prima, predigten Wasser, soffen Wein und sahen sich schon in der Parteikreisleitung sitzen. Versuchten sie, mich zu agitieren, verprellte ich sie leicht und schnell mit einem Lächeln und dem Statement: „FDJ find ich klasse: Frei, deutsch und jung –- das ist ganz mein Ding.“

Dann gab es noch die Kirche. Friede auf Erden. Schwerter zu Pflugscharen. Liebe Deinen Nächsten. Das Zeug halt. Es war mir wichtig. Nach der Christenlehre und dem „Gesprächskreis Junger Erwachsener“ gründeten wir in Kaulsdorf einen „Arbeitskreis für Frieden und Umwelt.“ Das war schon 1983. Wir diskutierten uns die Köpfe heiß und die Kehlen heiser. Organisierten Friedensgottesdienste, Mitternachtsandachten, Wandzeitungen zum Waldsterben im Zinnwald mit selbstgemachten Fotos vom Qualmgebiet nahe der tschechischen Grenze. Die Bäume dort waren wirklich tot .

Irgendwann wurde aus dem Friedensgebet das Montagsgebet und daraus die Montagsdemo. Ich fand das aber nicht „politisch“, der Begriff Politik war zu sehr von der Partei besetzt. Ich fand es menschlich spannend und wichtig. Es ging darum, die Welt zu erhalten, vielleicht den Sozialismus zu verbessern.

Ich mochte einen Spruch von Lenin: „Es gibt nichts zu beschönigen oder zu verschweigen; nur Dummköpfe beschönigen und verschweigen!“ Als ich diese Worte in eine Klassenarbeit im Fach „Dialektischer Materialismus“ schrieb, sollte ich zur Bewährung sechs Monate in den Braunkohletagebau. Mein Chef, Parteimitglied mit Hang zu Antiquitäten, und eine einsichtsvolle schriftliche Stellungnahme bewahrten mich davor . Doch für mich war das kein Widerstand oder wirklich politisch; eher Trotz und Notwendigkeit. Aber das mit Leidenschaft.

Träume | Angst | Politik | Rebellion | Sex | Drogen | Homosexualität

Zuender hat drei Zeitzeugen über ihre Jugend in der DDR befragt: Wie war das 1988? Hier geht es zur Übersicht


 
 



 

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