Für manche Interviews braucht man gute Nerven. Markus Kavka hatte sie: Er sprach mit Quentin Tarantino über die drei wichtigsten Dinge der Welt.
Fragen von Markus Kavka
Wer ist denn der knuffige Klops im schwarzen Jogginganzug und dem Wu-Tang-Shirt? Lustig, wie der Oberkörper beim Gehen hin- und herwackelt. Interessantes Profil auch, das halbe Gesicht besteht aus Kinn, selbst ein Jay Leno wäre neidisch.
Jetzt dreht er sich zu mir.
"Hi, I´m Quentin!"
Er sieht, nun ja, anders aus als in seinen Filmrollen, aber man kommt gar nicht dazu, sich diesbezüglich all zu viele Gedanken zu machen, denn sofort fixieren eine diese mit kindlicher Begeisterung erfüllten Augen, trifft einen dieser maschinengewehrartige Wortschwall, nimmt einen diese Lache ein.
Quentin Tarantino ist im Haus. Er ist ungewöhnlich früh aufgestanden, um 7 Uhr, um ab 10 Uhr bei MTV drei Interviews zu geben.
"Death Proof"
, sein neuer Film ist angelaufen, und Mr. Tarantino hat eine Menge darüber zu erzählen. Als erster bin ich dran, mit einem für 35 Minuten angesetzten Gespräch für MTV Rockzone. Quentin begrüßt jeden einzelnen aus der in Ehrfurcht erstarrenden Studiocrew per Handschlag. Er veranlasst noch kurz, dass der Kontrollmonitor von ihm weggedreht wird, weil er sich sonst "die ganze Zeit eitel anglotzen" würde.
Die 35 Minuten sind schnell um, zu schnell. Ich habe in dieser Zeit gerade mal sieben Fragen gestellt, und wir sind erst knapp mit der Hälfte der Sendung durch. Unfassbar, was der Mann für einen Output hat. Noch nie bin ich mit einer derartig hohen Silbenzahl pro Minute bombardiert worden. Tarantino redet sich in einen Rausch, er umklammert sein Mikro mit beiden Händen, brüllt rein, kichert unablässig, klingt dabei original wie
Beavis
aus "
Beavis & Butthead"
und stellt unvermittelt Gegenfragen. Er verlängert die Interviewzeit selbstständig um 30 Minuten, die Begleitdamen vom Filmverleih stöhnen.
So scheint das fast immer zu sein. Nach mir ist der Kollege von
MTV Masters
dran, aus seinen 20 Minuten werden 45. Kein Wunder, denn Quentin hatte sich vorbereitet. Das Thema ist ´Magic Movie Moments´, er wollte deswegen die Fragen am Tag vorher haben - nicht, weil er einzelne davon doof finden könnte, sondern um sich "ein paar Notizen" zu machen. Er zog 20 vollgeschriebene Blätter aus der Tasche, es konnte losgehen.
Seine Entourage wird langsam unruhig, die nächsten Termine rufen. "Mir egal, ich hab´ hier grad Spaß!", plärrt er ihnen nach einem zarten "Wir-müssen-langsam" entgegen. Auch der nachfolgende Newsredakteur bekommt statt 10 nun 25 Minuten und schafft es, in dieser Zeit drei Fragen zu stellen.
Ich fühlte mich nach dem Interview wie von einem Panzer überfahren, mein Zustand schwankte zwischen Überforderung und Euphorie, ich brauchte erst mal zwei Aspirin. Kurz darauf stand der Masters-Redakteur bei mir am Tisch. "Haste mal zwei Aspirin?" Ein paar Minuten später kommt der News-Mann. "Markus, hast du Kopfschmerztabletten?"
Quentin war fertig mit uns, fröhlich pfeifend schickte er sich an, es ein paar weiteren Journalisten zu besorgen. Am Abend turnte er dann kein Stück weniger energetisch bei einer Vorführung von
"Death Proof
" in einem Kino vor und nach dem Film auf der Bühne herum und redete alles in Grund und Boden, ebenso auf der Aftershowparty. Die letzte Sichtung Quentin Tarantinos hatte man schließlich um fünf Uhr morgens, als er fröhlich johlend mit einem Motorboot auf der Spree rumheizte.
Hier nun das komplette Interview. Es ist lediglich um die Passagen gekürzt, in denen wir über die Musikvideos sprachen, die in der Sendung liefen.
Ich habe fünf Stunden gebraucht, um es abzutippen. Hat jetzt mal jemand acht Aspirin für mich?
Ausgehend von deinem neuen Film müssen wir unter anderem über drei der wichtigsten Dinge im Leben sprechen - Frauen, Autos und Musik.
Da würde ich dir zustimmen. Das sind die interessantesten Dinge im Leben. Wobei…
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Gut, Sex fehlt noch.
Richtig. Aber das ist unmittelbar in "Frauen" enthalten.
Eigentlich auch in "Autos".
Da hast du Recht, definitiv auch in "Autos".
Zunächst mal zu "Death Proof". Würdest du sagen, dass dieser Film dein persönlichster, dein autobiographischter ist?
Er ist sehr persönlich, allerdings nicht so persönlich wie "
Kill Bil"
. Abgesehen davon ist jeder meiner Filme persönlich. Sie kommen alle aus meinem Inneren. Obwohl ich diesen Umstand gerne unter einem bestimmten Genre vergrabe, bekommt man doch einen guten Eindruck, wer ich bin und was mir in meinem Leben so passiert ist. Was mich an "
Death Proof
" am meisten faszinierte, war die Tatsache, dass ich über acht verschiedene weibliche Charaktere schreiben konnte, die eben nichts mit mir zu tun haben, sondern sie selbst sind. Ich bin ein Autor, der in die Charaktere eintaucht, also wurde ich zu diesen Mädchen. Das ist es, wozu ein Autor fähig sein sollte, nämlich nicht immer über sich zu schreiben, sondern sich in die Persönlichkeit anderer zu versetzen. Ich versuche dann, ein anderer Mensch zu werden. Weg von mir selbst, hin zu den handelnden Personen.
Zu den Frauen kommen wir später noch, vielleicht sollten wir zuerst über die ursprünglich geplante Struktur des Films sprechen. "Death Proof" und "Planet Terror"von Robert Rodriguez kommen hier getrennt voneinander ins Kino, in Amerika liefen beide Filme unter dem Label "Grindhouse" als Doublefeature. Das Publikum wusste diese Form der Präsentation nicht wirklich zu schätzen.
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Na ja, die wenigen Leute, die zu den Vorstellungen kamen, wussten es schon zu schätzen. Aber stimmt schon, die meisten haben diese Double-Feature-Idee nicht verstanden. Allerdings war es auch nicht geplant, das Grindhouse-Ding weltweit durchzuziehen. Es gibt eigentlich nur drei Länder auf der Erde, die einen Bezug zu Grindhouse haben, nämlich Amerika, England und Japan. In Deutschland zum Beispiel wäre es sinnlos, beide Filme am Stück zu zeigen. Wichtig zu wissen ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Einzelversion von "
Death Proof
" 25 Minuten länger als jene im Double-Feature und damit wesentlich näher an dem ist, was ich mit dem Film eigentlich aussagen wollte. Diese Version kommt direkt aus meinem Herzen.
Du hast dich in deiner Jugend viel in solchen Grindhouses rumgetrieben. Das waren ja sehr spezielle, manchmal nicht ganz ungefährliche Orte.
Einige von ihnen waren tatsächlich nicht ungefährlich, was gleichzeitig aber ihren besonderen Reiz ausmachte. Wenn man dort hin ging, wollte man die Gefahr zusammen mit der Eintrittskarte bekommen. Man vermied es, aufs Klo zu gehen und achtete darauf, sein Zeug immer nah bei sich zu haben. Man sah davon ab, all zu kumpelhaft mit den anderen Leuten im Publikum umzugehen. Ich persönlich trieb mich meistens in den Grindhouses der schwarzen oder mexikanischen Viertel von Los Angeles herum und geriet dort nie in eine wirklich gefährliche Situation.
Tatsächlich war es in den Vorstadtkinos weißer Viertel wesentlich ungemütlicher für mich, weil ich es hasse, wenn Leute im Kino quatschen. Ich sagte früher - heute nicht mehr, denn dafür bin ich mittlerweile zu alt - erst mal freundlich "Halt die Fresse!", und wenn das nicht fruchtete, gab´s ganz schnell ein paar Schläge auf die selbige. Ich weiß gar nicht, wie oft ich draußen auf dem Parkplatz deswegen in Schlägereien geriet. In den Grindhouse-Kinos war es dagegen so, dass man ausdrücklich erwartete, dass während des Films gelabert wird. Man suchte sich die Filme danach aus, dass es nichts ausmacht, beziehungsweise der Streifen dadurch vielleicht sogar noch an Qualität gewinnt.
An welchem Punkt kam eigentlich Kurt Russell als "Stuntman Mike" ins Spiel?
Robert Rodriguez hat "
Planet Terror
" vor meinem Film gedreht. Er war schon fertig, als ich noch in einer sehr frühen Produktionsphase war. Ich hatte die Rollen der Mädchen schon besetzt, aber ich hatte noch keinen
"Stuntman Mike"
. Ich schrieb endlos lange Namenslisten, allerdings drängte sich niemand so richtig auf. Der Wendepunkt kam, als Robert meinte, er wolle für seinen Film so eine Art John-Carpenter-Stimmung kreieren.
Am Set liefen deswegen die ganze Zeit die Soundtracks von "
Die Klapperschlange
" und "
Das Ding aus einer anderen Welt
".
"Planet Terror
" sollte der Film werden, den Carpenter zwischen den genannten Werken hätte machen können. Irgendwann sagte ich mal: "Wart mal! Was ist eigentlich mit Kurt Russell?!" Er war sofort dabei. Ich finde, er hat einen fantastischen Job gemacht, er ist total mit seiner Rolle verwachsen.
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Offenbar auch mit seinen beiden Karren. Autos spielen in "Death Proof" überhaupt eine große Rolle. Ich denke, dass die Muscle-Car-Modelle aus den späten 60ern und frühen 70ern bewusst gewählt sind.