Quelltexte
Ich im Trenchcoat
Es gibt Bücher, die einen nachts durch die Straßen laufen lassen, immer auf der Suche nach schmierigen Bars. Die von Raymond Chandler zum Beispiel
Von Stefanie Büther
Der Detektiv trägt einen Hut und schläft mit dem Revolver unterm Kopfkissen. Er trinkt den ganzen Tag Whisky, kriegt jede Frau rum und hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen: "Sie können ihre albernen Spiegelgläser jetzt abnehmen. Sie sehen damit keineswegs aus wie Cary Grant."
Der Typ heißt Philip Marlowe und war vielleicht meine erste große Liebe – jedenfalls die erste Romanfigur, von der ich nicht genug kriegen konnte. Erfunden hat ihn Raymond Chandler, Schriftsteller, Drehbuchautor, Whiskytrinker.
Der erste Marlowe-Roman, der mir in die Hände fiel, war "Die kleine Schwester", und er hatte alles, was ein guter Krimi braucht: Ein zutiefst unmoralisches Los Angeles, in dem die Gangster noch Ganoven heißen, miese Filmproduzenten, die naive Jungschauspielerinnen aufs Kreuz legen, schmierige kleine Erpresser und korrupte Polizisten. Die Frauen sind unverschämt und verrucht, meistens tragen sie kleine Pistolen mit Elfenbeingriff in ihren Handtaschen. Für 25 Dollar am Tag stochert Marlowe für andere Leute im Dreck und macht sich unbeliebt, findet ganz nebenbei den Mörder, nur damit sich am Ende noch mehr Leichen türmen.
Die Welt von Chandler ist eine miese Welt; für ein paar Dollar verkauft jeder seine Großmutter, die Reichen verdienen ihr Geld mit dreckigen Geschäften, die Armen versumpfen in ihrem Dreck.
Mich hat das unheimlich beeindruckt. Während überall Nirvana lief und Jungs in Holzfällerhemden den Schulhof füllten, kaufte ich mir einen Trenchcoat und bürstete mir die Haare in Form. Mit aufgestelltem Kragen lief ich durch die Stadt, auf der Suche nach dunklen Gestalten am Ende der Straße. Zwar traute ich mich nicht in schmierige Bars und ließ mich eher selten mit Whisky voll laufen, aber das tat wenig zur Sache. Ich fühlte mich ziemlich verwegen. Ein einsamer Jäger in einer feindlichen Welt und manchmal Rächer der Enterbten. Denn so viel muss man Marlowe lassen: Trotz seiner schlechten Angewohnheiten steckt hinter der rotzigen Fassade ein zutiefst moralischer Mensch.
Außer meiner Macke mit dem Trenchcoat blickte ich allerdings der Realität fest ins Auge. Natürlich wollte ich kein Detektiv werden – die richtigen Ganoven waren längst gestorben. Aber Schießen wollte ich mal ausprobieren. Da ich leider niemanden kannte, der mir eine kleine Automatik mit Griff aus Walnussholz borgen konnte, tat ich das nächstliegende: Ich vereinbarte eine Probestunde im Schützenverein.
Der Club lag in einem trostlosen Plattenbau, alle Wände waren mit Teppichen verkleidet. Für eine Magnum mit echten Patronen musste man tief in die Taschen greifen, Fehlschüsse in die Decke wurden extra berechnet. Ein schmieriger Typ an der Theke zeigte mir die Übungsräume, an der Zielwand hingen durchlöcherte Bilder von Rehen und Hasen. Der Gemeinschaftsraum mit Jägersitzecke und Resopalschrankwand war das Deprimierenste, was ich je gesehen hatte. "Beim Schützenfest geht’s hier immer ganz schön hoch her", sagte der Typ noch und zwinkerte mir vertraulich zu; ich machte mich schleunigst davon. Das war nicht, wonach ich suchte.
Als Schriftsteller hat es Chandler nie unter die ganz Großen geschafft, aber seine Bücher sind weit mehr als simple Krimis. Er ist ein guter Beobachter; szenische Milieustudien und lakonischer Sprachwitz sind in seinen Büchern meist wichtiger als der Plot. Der eigentliche Fall wird eher beiläufig gelöst. Deshalb hält sich so hartnäckig die Anekdote, Chandler selbst habe beim Dreh von "Tote schlafen fest" nicht mehr mit Sicherheit sagen können, wer nun genau warum der Mörder sei.
Mittlerweile habe ich den Trenchcoat abgelegt. Aber mein Verhältnis zu Raymond Revolverheld ist immer noch heiß und innig. Die Filme habe ich alle gesehen und jedes Chandler-Buch dreimal gelesen. Marlowes Büro ist mir so vertraut wie meine eigene Wohnung, und sein lakonischer Charme macht mich immer noch schwach. Philip Marlowe wird wohl immer mein Lieblingsdetektiv bleiben. Aber man muss auch mit der Zeit gehen. Inzwischen gucke ich manchmal Magnum.
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