Furries sind Menschen, die Fabelwesen lieben. Unser Autor war bei ihrem jährlichen Szene-Treffen. Und fühlte sich ohne Fellkostüm nackt.
Text und Fotos von Christian Werner
"Die Fuchskomponente war bei mir immer da", sagt Marion Fischer, die mir in der Lobby des Ringberhotels im thüringischen Suhl gegenübersitzt und ihren buschigen roten Schwanz streichelt. "Andere haben früher Mutter, Vater und Kind gespielt. Bei mir war das immer Mutter, Vater, Kind und Fuchs."
Mit ihrem Fuchsschwanz fällt Fischer kaum auf. Jeder Dritte trägt hier einen Schweif an seinem Hintern, jeder Vierte ein Ganzkörperkostüm: es gibt Waschbären, Eisbären, Raubkatzen, Füchse, Wölfe und alle möglichen Fabelwesen, fast alle sind pelzig und kuschelig. Fans dieser Wesen nennt man Furries, so wie Star-Trek-Fans Trekkies sind. Und Suhl ist fünf Tage lang Tagungsort für die 14. Eurofurence, das größte jährliche Furry-Treffen in Europa.
800 Teilnehmer sind in den Thüringer Wald gekommen, ein neuer Besucherrekord für die ausgebuchte Eurofurence. Vierzig Prozent der Besucher kommen aus Deutschland, der Rest ist aus Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden und den Vereinigten Staaten angereist. Von 18 bis 78 reicht die Altersspanne, der durchschnittliche Eurofurence-Besucher ist Mitte zwanzig.
"Tierwesen ohne Intellekt, das sind keine Furrys", erklärt mir Sven Tegethoff. Er muss es wissen, denn Tegethoff ist von Anfang an dabei. Tegethoff ist Leiter des Eurofurence-Verein, der sich vom kleinen, skurrilen Fantreffen zu einem wichtigen Verband der internationalen Underground-Szene entwickelte. "Wir haben alle Donald Duck und Co. gemocht, doch als wir erwachsen wurden, wollten wir den Kinderkram nicht mehr", sagt er. Die Faszination für die Verbindung von Tierwelt und Science Fiction oder Fantasy aber blieb.
Was wäre wenn? Diese Frage treibt die Furries an. "Was wäre, wenn ich wie ein Adler fliegen könnte oder die Gesellschaft nur aus Katzen und Hunden bestehen würde?", fragt Tegethoff. In Suhl übt er sich mit Gleichgesinnten an der spielerischen Beantwortung dieser Fragen.
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Es gibt verschiedene Beweggründe dafür, dass die Teilnehmer der Eurofurence Fabelwesen erfinden, deren Rolle sie hier spielen: Manche Furries sind schlicht sehr tierliebe Menschen. Auch ein sexueller Fetisch kann eine Rolle spielen – das ist ablesbar an der Erotik, die in einigen der Zeichnungen mitschwingt, die auf der "Eurofurence" ausgestellt werden. Und an dem ausdrücklichen Hinweis in den Veranstaltungsregeln, dass sexuelle Handlungen, entblößte Genitalien und SM-Utensilien in den privaten Hotelzimmern okay, in der Öffentlichkeit aber nicht erwünscht sind.
Wichtiger als Tierliebe und Sex ist den meisten Furry-Fans aber die Ästhetik ihrer Charaktere und die Lust am Rollenspiel. Viele Furries können sich zum Beispiel mit Raubtieren identifizieren. Tegethoffs Charakter "Cheetah" ist ein Gepard. "Raubtiere haben ein ausgeprägtes Sozialverhalten", sagt er, "mit ihnen wird Stärke und Eleganz verbunden."
Die Furry-Fankultur ist sehr kreativ: Anders als zum Beispiel bei Star Wars oder Star Trek bestimmen die Fans die Inhalte und Genre selbst. Ihre Figuren erleben Fantasie-Abenteuer in Zeichnungen, Comics, Animationsfilmen und Rollenspielen.
Marion Fischer, zum Beispiel, nennt ihre Furry-Identität "EosFoxx" und lebt ihre Fantasien beim Zeichnen aus. Wie ihre Künstlerfreunde "Khaosdog" oder "Akeyla" hat sie einen Stand auf der Eurofurence. Einmal im Jahr sehen die Fans die Menschen hinter der Kunst, die ansonsten im Internet kursiert.
Außerhalb von Veranstaltungen wie der Eurofurence kommuniziert die Furry-Szene über das Netz. In Foren, Blogs und Wikis trifft man sich und tauscht selbstgeschriebene Furry-Geschichten und Bilder. "Häufig haben Furries beruflich mit dem Internet zu tun und finden so zu uns", sagt Sven Tegethoff, der IT-Projektmanager ist. Dass viele Furries in der IT-Branche arbeiten, erklärt auch den hohen Männeranteil von etwa 80 Prozent.
Die Liebe zu Fabelwesen wird nicht nur durch die eigene Fantasie befeuert, sondern auch durch Kinderbücher und –filme. Der Zeichentrickfilm Felidae, der von den Abenteuern eines Katers erzählt, gehört zu den Klassikern, ebenso wie der Roman Unten am Fluss, der von einer Reise von Waldtieren erzählt. "Ich habe noch nie Cap und Capper gesehen", gibt ein Tagungsgast zu. "Das wird mir immer wieder vorgehalten." Der "totale Klassiker" ist laut Tegethoff aber Der König der Löwen.
Für einige Furries ist die Fankultur lebensbestimmend. "Für mich ist das ein Stück Selbstfindung, meine ganze Denkweise richtet sich danach aus", sagt der 18-Jährige Markus, alias "Garra", ebenfalls ein Gepard. Er versuche viel mit seinen Urinstinkten zu arbeiten.
Seinen Nachnamen will Markus mir nicht verraten. Er möchte lieber nicht erkannt werden, die Furry-Gemeinde bleibt unter sich. Auch Kostümierte lüften öffentlich nie ihr Gesicht. Sie sind so scheu, wie die Tiere, die sie imitieren. Ihre Erfahrungen zeigen: die Gesellschaft versteht sie nicht. "In den USA werden wir Furries für kindisch gehalten", sagt Samuel Conway, der in Pittsburgh die weltweit größte Furry-Tagung Anthrocon mit fast 3000 Besuchern organisiert.
Wegen dieser sozialen Ächtung ist die Eurofurence eine geschlossene Massenveranstaltung. Hier können Erwachsene seelenruhig mit Plüschtieren unterm Arm unter Gleichgesinnten flanieren. Für Kostümträger gibt es eine eigene Disko, mit langsamer Musik und weniger Nebel. Ohne den Schutz des anonymen Internets bauen sich die Furries fünf Tage im Jahr so eine reale abgeschottete Welt.
Tatsächlich fühle ich mich als Fremder und Unverkleideter unter all den Kostümen und Schweifen nackt – ich bin nackt unter Wölfen, Füchsen und anderen Fabelwesen. Angst muss ich aber keine haben. "Furrys wollen Harmonie", sagt Sven Tegethoff. Und zum Beweis legt er nur wenig später seinen Arm um seinen Freund, den roten Drachen.