Hochzeit (2)
Von wegen Liebe
In Indien werden Ehen noch immer arrangiert. Tanvi Kapoor, 24, steht das unmittelbar bevor. Schlimm findet die Jura-Studentin das aber nicht.
Von Eva Achinger
Tanvis Nase glänzt im neongrellen Licht. Die kleine Küche im Studenten-Wohnheim dampft und es duftet nach Kardamon, Curry und Kreuzkümmel. Abwechselnd rührt die 24-Jährige in vier brodelnden Töpfen. Draußen braust und knattert London.
Tanvi Kapoor kommt aus Delhi und wird dorthin zurückkehren, sobald sie ihren Jura-Master an der London School of Economics and Political Science gemacht hat. "Die Heiratsanträge kamen schon reingeflattert, bevor ich nach London gegangen bin", sagt Tanvi und hackt Petersilie. "Aber ich habe meine Eltern gebeten, erst das Studium beenden zu dürfen."
Die Studentin tut viel für eine Karriere, die sie vielleicht nie machen wird. Sie lernt fleißig: sieben Tage die Woche, täglich neun bis zehn Stunden. Doch ob sie jemals Richterin wird, hängt von ihrem künfigen Ehemann ab, einem Mann, den Tanvi noch nicht kennt. Sollten ihre Eltern einen passenden Kandidaten finden, könnten sie die Hochzeit innerhalb kürzester Zeit arrangieren.
"Meine beste Freundin war innerhalb von einer Woche verheiratet. Das war für mich ein Schock", sagt Tanvi. Denn am Anfang sei ihre Freundin noch extrem gegen das Heiraten gewesen. Nur widerwillig habe sie sich den Auserwählten überhaupt angesehen. Aber nachdem sie mit ihm mehrmals telefoniert hatte, entschied sie sich doch für den Mann.
Tanvi ist hingegen sicher noch zehn Monate ledig. Erst, wenn sie ihren Abschluss hat, gehört sie zu jenen 80 Prozent junger Inder, die nicht aus Liebe, sondern der Vernunft wegen heiraten. Arrangierte Ehen sind in Indien eine lebendige Tradition. Zueinander passt, wer aus derselben Provinz stammt, dieselben Ideale hat und die gleiche Religion ausübt.
Sympathisch sollen sich die Zukünftigen auch sein – Liebe auf den ersten Blick ist nicht ausgeschlossen. Um das sicher zu stellen, treffen sich die potentiellen Ehepaare mehrmals bei den Familien, an heiligen Stätten oder in Hotellobbys. Tanvi kann "nein" sagen, wenn ihr der Junge nicht gefällt. Nur das Konzept der arrangierten Ehe kann sie nicht ablehnen. Die Eltern suchen die Bewerber aus. Das ist nicht verhandelbar.
"Meine Eltern haben es schwer. Sie müssen jemanden finden, der genauso gebildet ist wie ich - das ist meine Forderung", sagt Tanvi, und lächelt als sei ihr ein Streich geglückt. Denn ihre Eltern wollen, dass ihr Ehemann aus der Provinz Punjab kommt. Und viele Männer mit einem Master-Abschluss gibt es dort nicht.
"Jetzt wo die Gemeinden größer werden, reicht Mundpropaganda nicht mehr." Deshalb arbeiten viele Eltern mit Heiratsagenturen zusammen. Bei der Suche vertraut Tanvi ihren Eltern. "Sie wünschen sehr, dass ich glücklich bin. Sie haben es mir auch ermöglicht in London zu studieren." Da sei es das Mindeste, einen Mann zu heiraten, der ihnen gefällt.
Eines ist jetzt schon klar: Tanvis Mann muss ein Vegetarier sein, der weder trinkt noch raucht. Auch sonst stellen ihre Eltern hohe Ansprüche: "Sie wollen, dass er hart arbeitet, Ältere respektiert und Verantwortung übernimmt."
Und die Liebe? In Bollywood handeln fast alle Filme von ihr. Im wahren Leben triumphiert aber der soziale Hintergrund. 72% der jungen Inder ziehen arrangierte Ehen der Liebeshochzeit vor. Tanvi kann sich das erklären: "Wenn man verliebt ist, handelt man tollkühn und unvernünftig. Doch die Ehe ist eine Entscheidung fürs Leben."
Und sie erzählt von ihrem Liebesideal: "Ich glaube, dass Liebe bei einem guten Nährboden wachsen kann. Natürlich bin ich in einer arrangierten Ehe nicht davor gefeit zu scheitern. Aber, wenn ich Pech habe, und der Mann entpuppt sich als fieser Kerl, steht wenigstens noch meine Familie hinter mir."
Das gibt Tanvi Sicherheit, auch wenn sie nicht ausschließen kann, sich unglücklich zu verlieben. Ob sie sich denn noch nie in jemanden verguckt hat? Tanvi streicht sich die schweren, schwarzen Haare aus dem Gesicht. "Doch gerade eben", sagt sie. "Er kommt jetzt mit Freunden und Freundinnen zum Essen vorbei." Tanvi würde es ihm nie sagen. Er ist nicht aus Punjab.