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Kurzgeschichte

Korn Walden Storman

Aus meinem Dorf sind die meisten meiner Generation gestorben, bevor sie 30 wurden. Ertrunken, Autounfall, Lungenentzündung, Überdosis, Nierenversagen, vom Ehemann mit der Axt erschlagen. Ein paar sind im Knast. Wir übrigen sind allesamt kaputte, gescheiterte Existenzen, um mal ganz offen zu sein.

"Going where and when I want, doing what I please, oh to live a life of ease" - Michael Holland

"A life without trouble really ain't no life at all" - Michael J. Sheehy

"Wenn ich ab morgen in die Berge müsste, kein Problem." - Townes van Zandt

Ich bin in Storman aufgewachsen. Ein kleiner Bauernlandkreis in Schleswig-Holstein, Dorfidylle, endlose durch Knicks geschützte Kornfelder, Koppeln und Wälder, in denen man sich verstecken und verirren kann. In ihnen habe ich die glücklichsten Tage meiner Kindheit verbracht. Während meine Eltern in der Stadt arbeiteten, war ich in den Wäldern mit meinem Großvater unterwegs, der seinen kleinen abgelegenen Hof damals noch selbst führte und auf dem heute noch seine Frau in der Dachstube wohnt. Diese beiden und meine Urgroßmutter haben mir alle Pflanzen erklärt, mich an die wichtigen Stellen geführt, in ihre Geheimnisse eingeweiht.

Ich muss zugeben, dass meine Kindheit ein grosses Privileg war, ich habe den Fuchsbabys beim Spielen zugeschaut, und es war normal für mich, zu erwachen und Dahmwild vor meinem Fenster äsen zu sehen. Noch heute bin ich in der Lage, bei bestimmten Bedingungen innerhalb kürzester Zeit Waldmeister, viele andere Heilkräuter und gewisse Pilzsorten in jedem beliebigen Laubwald aufzuspüren. Verhungern muss niemand in den Wäldern. Und wer nicht gefunden werden mag und sich nicht zu ungeschickt anstellt, wird auch nicht gefunden.

Hierher bin ich immer nur gekommen, wenn es unbedingt nötig wurde. An einer bestimmten Stelle im Wald, die selbst der Förstereibehörde unbekannt ist, gibt es einen Erdhöhlen-Verschlag, der selbst im kältesten Winter vor der Kälte schützt. Dieser Platz ist sehr alt und wir haben stets darauf geachtet, dass er weder den Goa-Party-Crews noch all den selbst ernannten Neuheiden jemals in die Hände fällt. Sie hätten ihn zerstört, seine Stille, seine Geschichte, seine Kraft. Um nicht missverstanden zu werden: Ich bin alles andere als ein Esoteriker. Diesen Luxus habe ich mir immer schön verkniffen. Mir ist dieser Ort deshalb heilig, weil er meinem Großvater heilig war. Dort hat er zur Ruhe gefunden, wenn alles zuviel wurde, dorthin hat er sich zurückgezogen, um zu genesen.

Mein Großvater war, wie so viele hier, Alkoholiker. Der Schnaps, genauer, der Korn. Das berühmteste Produkt Stormans ist neben dem Raps und dem Schinken und der Mettwurst der Oldesloer Korn. Bad Oldesloe, die Kreishauptstadt, ist ein hässliches Trabantenstädtchen, das von allen Dörflern gemieden wird. Nur zur alljährlichen Nutzviehschau haben sich stets immer alle eingefunden, an diesem Wochenende waren die Krankenhäuser immer voller Schnapsleichen. Das hat sich inzwischen geändert. Man trinkt gesitteter und lebt seine Alkoholsucht lieber im Privaten, obwohl es natürlich jeder vom anderen weiß. Offene Geheimnisse. Betrunken Trecker zu fahren ist noch nicht einmal ein Kavaliersdelikt, weil es einfach nicht geahndet wird. Sonst hätte keiner der Landwirte noch einen Führerschein.

Als Jugendlicher hat man hier nicht viele Möglichkeiten. Saufen, Heavy Metal, Auto fahren. Schwanger werden und sein Recht einfordern. In die Stadt flüchten und da unter die Räder kommen. Aus meinem Dorf sind die meisten meiner Generation gestorben, bevor sie 30 wurden. Ertrunken, Autounfall, Lungenentzündung, Überdosis, Nierenversagen, in die Häkselmaschine geraten, vom Ehemann mit der Axt erschlagen. Ein paar sind im Knast, dummdreiste Aktionen wie Banküberfälle und Einbrüche in den Getränkemarkt, der eigenen Frau einmal zu oft die Fresse poliert. Wir übrigen sind allesamt kaputte, gescheiterte Existenzen, um mal ganz offen zu sein.

Meine klassischen Entgiftungen in den Kliniken haben mich immer für ein paar Monate mindestens, höchstens aber für 2 Jahre eingenordet, dann begann die Scheiße im Kopf wieder zu kochen. André, so kann das doch nicht weitergehen, sagte meine Mutter einmal, die inzwischen graue Haare hat, und dann immer verweint an meinem Bett sitzt, auf dem ich, noch fixiert, aufwache, mal wieder keine Ahnung, was die letzten 48 Stunden gewesen war. Meine verkrusteten Fingerkuppen und die blauen Flecke überall liessen aber mal wieder einiges vermuten.

Kann sich einer vorstellen, wie absurd es ist, wenn der eigene Sandkastenkumpel mit gezücktem Schlagstock vor einem steht und mit Tränen in den Augen darum bittet, einfach aufzuhören, es nicht noch alles viel schlimmer zu machen und einfach in den Peterwagen einzusteigen?

Weiterlesen im 2. Teil »


 
 



 

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