Wer „Killerspiele“ verteufelt, macht es sich zu leicht. Wer sie verharmlost auch, sagt der Autor Mark Butler. Er muss es wissen
Von Jan-Frederik Bandel
„Killerspiele“ – das Wort mag neu sein, die Debatte ist es nicht. Nach jedem spektakulären Fall von Jugendgewalt melden sich (meist selbst ernannte) Experten zu Wort, die ganz genau wissen, woher die Aggressionen kommen: von Computerspielen eben. Und natürlich wissen die Experten auch, was dagegen hilft: Verbieten. Wer so argumentiert, verwechselt Psychologie mit Voodoo, findet Mark Butler.
Mark Butlers Buch
Would You Like to Play a Game
? – Die Kultur des Computerspielens ist im Jahr 2006 im Berliner Kulturverlag Kadmos erschienen
Der Berliner Kulturwissenschaftler hat jetzt unter dem Titel
Would you like to play a game?
ein Buch über die „Kultur des Computerspielens“ veröffentlicht. Darin bezieht er sich nicht nur auf verschiedene Theorien des Spiels, der Schnittstelle und der Interaktivität, sondern wertet vor allem die Ergebnisse von Interviews mit einer Reihe Spielerinnen und Spielern aus. Er hat mit langjährigen Cracks gesprochen, die teils von tagelangen Computersessions berichten, aber auch mit einer Elfjährigen, die vom Simulationsspiel
Die Sims
schwärmt. Und natürlich hat der Autor auch genügend eigene Erfahrungen. Die verbucht er augenzwinkernd als „Feldforschung“.
Das heißt allerdings nicht, dass Butler die kritische Distanz zu seinem Thema fehlt. Im Gegenteil. Gerade das macht sein Buch für die aktuelle „Killerspiel“-Debatte interessant. Denn die Verteidiger der Spiele machen es sich meist genauso leicht wie ihre Kontrahenten. Unbeirrbar belächeln sie jeden, der glaubt, dass es Wechselwirkungen zwischen virtueller und alltäglicher Realität geben könnte. Allenfalls, so lautet die gängige These, lebe der Spieler seine Aggressionen beim Spielen aus. Und schwups, schon ist er sie los. Das ist vielleicht kein Voodoo, doch als Psychogramm ist es auch zu schlicht.
Zwar bestätigen Butlers Gesprächspartner auch die Vorstellung vom Spiel als „Katharsis“, das heißt als Reinigung, Kanalisierung vorhandener Aggressionen. Aber sie bestätigen ebenso, dass ihnen Spiele ganz neue Gewaltfantasien liefern, mit denen sie den Frustrationen des Alltags zu Leibe rücken. Und sie beschreiben viele andere Momente, in denen Spiel und Alltag durcheinandergeraten. Nach langen Sessions, berichtet einer der Informanten, kann es schon mal vorkommen, dass man aufmerksamer durch den Raum geht. Vielleicht steht ja irgendwo ein Bewaffneter in der Ecke? Vorsicht kann nicht schaden. Eine andere Spielerin erzählt, wie ihr plötzlich die Möbel im Zimmer als Hindernisse und Klötze erschienen, hinter denen sich Gegner oder punktebringende Schätze verbergen könnten. „Als ich so viel
Doom
gespielt habe, da kann ich mich erinnern, dass irgendjemand überraschenderweise hinter der Anrichte aufgetaucht ist. Ich wollte wirklich sofort so machen und ihn erschießen!“
Computerspiele bieten nicht nur eine alternative Realität von hoher Suggestionskraft. Sie verlangen dem Spieler auch ab, sich ganz und gar auf die Logik und die Regeln des Spiels einzustellen. Um komplexere Spiele erfolgreich zu bewältigen, werden Wahrnehmung und Reaktionsweisen sozusagen umprogrammiert. So muss sich mancher erst wieder auf die Wirklichkeit seines Alltags einstellen – und einfach mal einen Ast anfassen, um sich zu versichern, dass man normalerweise keine ganzen Bäume durch die Landschaft schleudert. Andere träumen nachts von den Charakteren der Spiele. „Reale Virtualität“ lautet eine der Formulierungen, mit denen Butler auf die Wirkungen der Spiele hinweist. Diese sind durchaus vielfältig: „Natürlich hinterlassen die Ausflüge zu den virtuellen Spielwiesen ihre Spuren“, erklärt er, „in den Träumen, der Fantasie und den Körpern der Spieler.“
Andererseits, so Butler, scheinen Computerspiele ihren Spielern ein gutes Training in Sachen Wirklichkeit zu bieten. Die oft schockhaften Unterbrechungen, die seltsamen Reaktionen beim Auftauchen aus der virtuellen Realität, die Selbstvorwürfe, mit denen Spieler auf die Stunden um Stunden zurückblicken, die sie mit der Monsterjagd verbracht haben: All diese Erfahrungen schulen das Bewusstsein für die Differenz zwischen unserer Alltagswelt und einer, die neben der Unsterblichkeit auch eine Dichte von Erfolgserlebnissen bereithält, die man andernorts so schnell nicht bekommt. Und sie sensibilisieren für das komplizierte Verhältnis zwischen diesen Welten. Eine Schulung, die den Medienexperten oft fehlt. Kein Wunder, dass die Debatten so oberflächlich verlaufen. Denn mit deren schlichter Wirkungspsychologie lässt sich nicht einmal beschreiben, was die Faszination der Spiele ausmacht – eine Faszination, die sich, wie Butler zeigt, ganz unterschiedlich ausbilden und entwickeln kann.
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Die „Killerspiel“-Diskussion hält Butler aus diesem Grund auch für unsinnig. Sie werde weder der Gewalt in unserer Gesellschaft noch den Computerspielen gerecht. Die Statistik, so Butler, widerlege zudem eindeutig die Vorstellung, gewalttätige Computerspiele würden die Zahl realer Gewaltdelikte steigern. Zwar lasse sich nicht leugnen, dass es jugendliche Straftäter gibt, die ihre Taten populären Spielen „nachinszenieren“. Die Ursachen der Aggression aber liegen anderswo – und Vorbilder lassen sich schließlich überall finden: in Filmen, Büchern, Comics und so weiter. Ganz zu schweigen davon, dass auch allseits geliebte Familienspiele wie
Die Sims
die perfidesten Killerszenarien zulassen. Wenn der Spieler nur will.
„Wenn man über die Gefahren der Computerspiele reden will, dann muss man ganz woanders schauen.“ So endet sein Buch mit einem Kapitel über die Wirkung von Computerspielen als „elektronische Drogen“: Für manche Spieler sei der Sog, der von der virtuellen Realität ausgeht, so groß, dass sie sich tagelang nicht vom Computer entfernen. Scheint so, als ob den Nutzern ein bisschen weniger Praxis gut täte – und den Experten ein bisschen mehr.