Schiesserei
Verbietet sie doch endlich!
Brutale Computerspiele sollen Schuld daran sein, dass Sebastian B. seine Lehrer und Mitschüler töten wollte. Darum sollen sie nun verboten werden. Wenn uns das wirklich hilft – dann weg damit! Ein ernst gemeinter Vorschlag
von Carsten Lißmann
Ein junger Mann hat in einer kleinen Stadt im Münsterland seine ehemalige Schule gestürmt und mit zwei abgesägten Flinten um sich geballert, bevor er sich selbst erschoss. Gelernt hatte Sebastian B. das an seinem Computer, im Internet, in endlosen
Counter-Strike
Sessions.
Kaum, dass der Rauch sich gelegt hatte, meldeten sich die ersten Stimmen aus der Politik zu Wort, die sofort wussten, was zu tun ist: "Killerspiele gehören in Deutschland verboten", sagte zum Beispiel der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber heute in München. Ebenso gut hätte er sagen können: "Amokläufe gehören verboten" und: "Schüler, die keine Perspektive in ihrem Leben mehr sehen, gehören auch verboten". Der faktische Nutzwert dieser Aussage wäre der gleiche gewesen.
Zum einen ist noch längst nicht klar, welchen Einfluss die "so genannten Killerspiele" tatsächlich auf ihre Nutzer haben. Viele Psychologen tendieren dazu, ihnen allenfalls eine Katalysatorfunktion zuzusprechen: "So einfach verlaufen die seelischen Dinge nicht", sagt der Pädagoge Wolfgang Bergmann im
Interview mit
ZEIT
online
. Er sieht in dem Fall keine Nachahmung der Computerspiele; ausschlaggebend seien vielmehr zusätzliche Faktoren. Bergmann nennt es das "kulturelle Phänomen zunehmender Gewalt."
Zum anderen sind die meisten dieser Spiele in Deutschland sowieso längst indiziert und dürfen zumindest an Minderjährige nicht mehr verkauft werden. Dieses faktische Verbot hat dennoch nichts genützt – wie so viele andere zuvor. Musik raubkopieren? Verboten, macht trotzdem jeder. Haschisch rauchen? Verboten. Bei rot über die Ampel? Eigentlich auch verboten. Wenn Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm nun fordert, die Verbreitung der bösen Spiele durch "geeignete technische Filter" zu unterbinden, dann offenbart er damit vor allem eines – dass er immer noch nicht begriffen hat, wie das Internet funktioniert.
Wie vor vier Jahren in Erfurt ist nun in Emsdetten etwas geschehen, das nicht hätte geschehen dürfen. Aus der Mitte unserer Gesellschaft, in einer eigentlich heilen
Kleinstadtwelt
, ist ein Monster entsprungen, das einsam und ohne Lebensziel keinen Ausweg sieht, als erst seine Mitmenschen und dann sich selbst zu töten. "Ich hasse Euch und Eure Art! Ihr müsst alle sterben", hat Sebastian B. im Internet geschrieben. Für diese blinde Verachtung haben wir keine Erklärung. Da sind auch Politiker nur Menschen.
Kommt daher der Reflex, nach jedem tragischen Vorfall sofort auf die Killerspiele zu verweisen? Damit man überhaupt etwas sagt? Sind deswegen alle Massenmedien sofort wieder auf die längst ausdiskutierte Debatte angesprungen –
ZEIT online
eingeschlossen
? Damit man überhaupt etwas schreibt, wo sonst die Worte fehlen? Weil man sonst schweigen muss?
An dieser Stelle ein Vorschlag: Ja, lasst uns die Killerspiele verbieten. Weg damit aus den Giftschränken der Technikfachmärkte und weg damit aus den Internetcafes – mehr können wir sowieso nicht tun. Und wenn dieses Thema dann endlich erledigt ist, lasst uns über etwas anderes reden. Über Einsamkeit. Über junge Menschen, die offenbar nicht wissen, wohin mit sich und ihren Sorgen. Die nicht viele Freunde haben, dafür eine Waffensammlung. Lasst uns reden über Nachbarsjungen in einer Kleinstadtsiedlung, die "schon immer komisch waren" und "nie grüßten". Über Eltern, Lehrer, Mitschüler, die offenbar nicht merken konnten, dass da über Jahre etwas schief lief. Über eine Gesellschaft, in der das Undenkbare möglich ist. Über uns.
Ja, das ist ein schwieriges Thema. Man kann nicht einfach mit Argumenten losballern.
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