Gefühlslupe
Mein Hass auf die Bahn
Die Schaffner können ja nichts dafür. Der Zugführer auch nicht. Aber die Bahn...: Man muss sie einfach hassen
Von Almut Steinecke
Stöhnen, Schimpfen, Seufzen, genervtes Schütteln mit dem Kopf. Grrr-Gedanken, dazu die Gewissheit: das Ganze bringt jetzt überhaupt nichts. Mich durchzuckt ein kantiges Gefühl, das ich nicht rechtzeitig glätten kann, bevor es destruktiv wird. Hass, der aus purer Hilflosigkeit geboren wird, ist ein ganz besonderer Hass. Es gibt auch nicht viel, was mich so auf die Palme bringt. Es sei denn, die Deutsche Bahn kommt ins Spiel.
Es fängt alles ganz harmlos an. Ich bin zu Besuch bei meinen Eltern. Spätnachmittags trete ich die Rückreise an, eine Strecke von drei Stunden dehnt sich vor mir aus. Abschiedsbussis, Winke-Winke, in meiner Manteltasche knistert die Fahrkarte. Ich ziehe sie hervor, werfe einen kurzen Blick darauf, eine halbes Stündchen fahre ich jetzt nur, bevor ich umsteige in einen anderen Zug, der düst dann durch in meine Stadt. Alles gut. Ich kuschele mich in meinen Sitz, stöpsele Musik in meine Ohren, blinzle schläfrig aus dem Fenster. Vielleicht fange ich gleich noch mein neues Buch an. Ach nee, das hebe ich mir auf, bis ich umgestiegen bin. Müsste ja gleich ankommen.
"Unsere Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit"
Ich komme aber nicht an. Der Zug wird langsamer, dann bleibt er stehen mit einem Ruck. Ich mache erstaunt die Augen auf. Wo sind wir? Draußen dämmert’s auf kahlen Äckern, wir stehen mitten in der Pampa. Ich zupfe die Kopfhörer aus meinen Ohren, werfe einen Blick auf meine Nachbarin, "was ist denn jetzt?", sie zuckt mit den Schultern. Ein Knacken im Lautsprecher, eine schnarrende Stimme: "Unsere Weiterfahrt verzögert sich um ein paar Minuten." Warum, das sagt die Stimme nicht. Meine Nachbarin kramt den Fahrplan hervor. Sie muss gleich umsteigen wie ich, tippt nervös mit dem Finger auf die Abfahrtszeiten: "Uh, das wird knapp. Aber könnten wir gerade noch schaffen, wenn’s bei ein paar Minuten bleibt..."
Es bleibt aber nicht bei ein paar Minuten. Die Zeit vergeht. Keine Info über den Grund der Verzögerung. Kein Plan B für verpasste Anschlüsse. Der Zug bewegt sich nicht vor, nicht zurück, die Fahrgäste werden zunehmend unruhig. Springen auf, irren umher, suchen verzweifelt nach den Schaffnern. Die scheinen wie vom Erdboden verschluckt. Stillstand. Ausharren. Wir wissen nicht, warum. Es vergeht eine ganze Stunde. Es passiert - nichts. Da, plötzlich: ein Knacken im Lautsprecher, eine schnarrende Stimme: "Unsere Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit." Ein Aufstöhnen geht durch das Abteil, die Leute meckern los.
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