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Gefühlslupe

Mein Hass auf die Bahn

TEIL 2

Der arme Zugführer – die armen Schafe!

Ich auch. Von wegen Plan und Spar! Wie soll das gehen, wenn man seine Anschlusszüge nicht erreicht? Die Preise sind sowieso schon fett genug, auf Verspätungen kann man fast seinen Kopf verwetten und sitzt man fest im Nirgendwo, dann gibt’s noch nicht mal eine Erklärung! Unruhe, Rastlosigkeit springt in meine Beine, ich werde ganz zappelig, fühle gleichzeitig eine Ohnmacht, so ein Losrennen-Wollen-aber-nicht-Können. "Die Deutsche Bahn macht es einem wirklich nicht leicht, mit ihr in Frieden zu leben", murmelt meine Nachbarin. Wir steigern uns rein. Ein dumpfes auf-der-Stelle-Wüten. Festzusitzen in einem Zug, der nicht fährt, ist Hilflosigkeit in Großaufnahme. Deshalb macht die Bahn einen auch so leicht sauer - Hass ist leichter zu handeln als Hilflosigkeit. Dabei hat man als Fahrgeist natürlich leicht reden. Meine Position ist eine andere, als die der Deutschen Bahn. Die trägt Verantwortung. Gleich für ganz viele. Mit den unterschiedlichsten Plänen, den unterschiedlichsten Terminkalendern. Und bietet damit super Angriffsfläche.

Der Lautsprecher knackt, die Stimme schnarrt. In kleinlautem Tonfall. "Liebe Fahrgäste, wir bitten Sie um ihr Verständnis. Vor uns ist ein Zug in eine Schafherde gerast." Oje! Jetzt tun mir die Schafe leid! Und in der Haut des Zugführers, der sie umfuhr, will ich auch nicht stecken! Ich vertreibe mir die Zeit mit empathischem Training und versuche mich in den Mann hineinzuversetzen, um so die Sinnlosigkeit meiner Wut einzudampfen. Der Schaffner, der jetzt endlich den Gang entlang eilt, kann mich bestimmt darin bestärken. Ich frag ihn mal, wie der Stand der Dinge ist, vielleicht weiß er schon Genaueres.

Bahn und Buddhismus

Der Mann segelt an uns vorbei, so schnell, dass wir ihn nicht ansprechen können. Der Zustand des Ausharrens hält eine weitere Stunde an. Noch eine. Und noch eine. Nach drei (!) Stunden kommen wir in der Stadt an, in die ich eigentlich nur 30 Minuten gebraucht hätte. Ich steige um in einen anderen Zug. Der kann nicht los, eine technische Störung. Schließlich rattern wir ab, doch dann halten wir außerplanmäßig, irgendwo, an einem kleinen Bahnhof. Per Lautsprecher die Durchsage: "Liebe Fahrgäste, es gab einen Personenunfall. Unsere Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit." Ein paar Minuten später geht das Licht aus. Ein technischer Schaden, heißt es da plötzlich, "der Zug muss geräumt werden, am Gleis gegenüber trifft ein neuer ein - bitte steigen Sie um."

Wir stolpern ungläubig in die nächtliche Kälte und tatsächlich, da kommt auch schon ein Zug. Nur: Wohin fährt er? Wir wissen es nicht. Die Bahn scheint auch noch unentschlossen. Es kommen die verschiedensten Durchsagen. Mal hält der Zug in meiner Stadt, dann heißt es wieder, er hielte dort nicht. Ein sagenhaftes Chaos, in mir fängt es wieder an zu knurren, dabei hatte ich mein Bahn-Bashing schon so gut im Griff! Ich mache mich auf zum nächsten Schaffner, mein Knurren schlägt um in Kichern während ich durch die Gänge trabe. Man muss alles immer auch positiv sehen. Die Bahn fordert mich heute echt heraus, aber vielleicht handelt sie ja in einem höheren Auftrag. Ich soll es buddhistisch angehen, meinen Hass als Prüfung ansehen. Oder nur die versteckte Kamera suchen?


 
 



 

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