Gefühlslupe
Mein Hass auf die Bahn
Die Schaffner können ja nichts dafür. Der Zugführer auch nicht. Aber die Bahn...: Man muss sie einfach hassen
Stöhnen, Schimpfen, Seufzen, genervtes Schütteln mit dem Kopf. Grrr-Gedanken, dazu die Gewissheit: das Ganze bringt jetzt überhaupt nichts. Mich durchzuckt ein kantiges Gefühl, das ich nicht rechtzeitig glätten kann, bevor es destruktiv wird. Hass, der aus purer Hilflosigkeit geboren wird, ist ein ganz besonderer Hass. Es gibt auch nicht viel, was mich so auf die Palme bringt. Es sei denn, die Deutsche Bahn kommt ins Spiel.
Es fängt alles ganz harmlos an. Ich bin zu Besuch bei meinen Eltern. Spätnachmittags trete ich die Rückreise an, eine Strecke von drei Stunden dehnt sich vor mir aus. Abschiedsbussis, Winke-Winke, in meiner Manteltasche knistert die Fahrkarte. Ich ziehe sie hervor, werfe einen kurzen Blick darauf, eine halbes Stündchen fahre ich jetzt nur, bevor ich umsteige in einen anderen Zug, der düst dann durch in meine Stadt. Alles gut. Ich kuschele mich in meinen Sitz, stöpsele Musik in meine Ohren, blinzle schläfrig aus dem Fenster. Vielleicht fange ich gleich noch mein neues Buch an. Ach nee, das hebe ich mir auf, bis ich umgestiegen bin. Müsste ja gleich ankommen.
"Unsere Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit"
Ich komme aber nicht an. Der Zug wird langsamer, dann bleibt er stehen mit einem Ruck. Ich mache erstaunt die Augen auf. Wo sind wir? Draußen dämmert’s auf kahlen Äckern, wir stehen mitten in der Pampa. Ich zupfe die Kopfhörer aus meinen Ohren, werfe einen Blick auf meine Nachbarin, "was ist denn jetzt?", sie zuckt mit den Schultern. Ein Knacken im Lautsprecher, eine schnarrende Stimme: "Unsere Weiterfahrt verzögert sich um ein paar Minuten." Warum, das sagt die Stimme nicht. Meine Nachbarin kramt den Fahrplan hervor. Sie muss gleich umsteigen wie ich, tippt nervös mit dem Finger auf die Abfahrtszeiten: "Uh, das wird knapp. Aber könnten wir gerade noch schaffen, wenn’s bei ein paar Minuten bleibt..."
Es bleibt aber nicht bei ein paar Minuten. Die Zeit vergeht. Keine Info über den Grund der Verzögerung. Kein Plan B für verpasste Anschlüsse. Der Zug bewegt sich nicht vor, nicht zurück, die Fahrgäste werden zunehmend unruhig. Springen auf, irren umher, suchen verzweifelt nach den Schaffnern. Die scheinen wie vom Erdboden verschluckt. Stillstand. Ausharren. Wir wissen nicht, warum. Es vergeht eine ganze Stunde. Es passiert - nichts. Da, plötzlich: ein Knacken im Lautsprecher, eine schnarrende Stimme: "Unsere Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit." Ein Aufstöhnen geht durch das Abteil, die Leute meckern los.
Der arme Zugführer – die armen Schafe!
Ich auch. Von wegen Plan und Spar! Wie soll das gehen, wenn man seine Anschlusszüge nicht erreicht? Die Preise sind sowieso schon fett genug, auf Verspätungen kann man fast seinen Kopf verwetten und sitzt man fest im Nirgendwo, dann gibt’s noch nicht mal eine Erklärung! Unruhe, Rastlosigkeit springt in meine Beine, ich werde ganz zappelig, fühle gleichzeitig eine Ohnmacht, so ein Losrennen-Wollen-aber-nicht-Können. "Die Deutsche Bahn macht es einem wirklich nicht leicht, mit ihr in Frieden zu leben", murmelt meine Nachbarin. Wir steigern uns rein. Ein dumpfes auf-der-Stelle-Wüten. Festzusitzen in einem Zug, der nicht fährt, ist Hilflosigkeit in Großaufnahme. Deshalb macht die Bahn einen auch so leicht sauer - Hass ist leichter zu handeln als Hilflosigkeit. Dabei hat man als Fahrgeist natürlich leicht reden. Meine Position ist eine andere, als die der Deutschen Bahn. Die trägt Verantwortung. Gleich für ganz viele. Mit den unterschiedlichsten Plänen, den unterschiedlichsten Terminkalendern. Und bietet damit super Angriffsfläche.
Der Lautsprecher knackt, die Stimme schnarrt. In kleinlautem Tonfall. "Liebe Fahrgäste, wir bitten Sie um ihr Verständnis. Vor uns ist ein Zug in eine Schafherde gerast." Oje! Jetzt tun mir die Schafe leid! Und in der Haut des Zugführers, der sie umfuhr, will ich auch nicht stecken! Ich vertreibe mir die Zeit mit empathischem Training und versuche mich in den Mann hineinzuversetzen, um so die Sinnlosigkeit meiner Wut einzudampfen. Der Schaffner, der jetzt endlich den Gang entlang eilt, kann mich bestimmt darin bestärken. Ich frag ihn mal, wie der Stand der Dinge ist, vielleicht weiß er schon Genaueres.
Bahn und Buddhismus
Der Mann segelt an uns vorbei, so schnell, dass wir ihn nicht ansprechen können. Der Zustand des Ausharrens hält eine weitere Stunde an. Noch eine. Und noch eine. Nach drei (!) Stunden kommen wir in der Stadt an, in die ich eigentlich nur 30 Minuten gebraucht hätte. Ich steige um in einen anderen Zug. Der kann nicht los, eine technische Störung. Schließlich rattern wir ab, doch dann halten wir außerplanmäßig, irgendwo, an einem kleinen Bahnhof. Per Lautsprecher die Durchsage: "Liebe Fahrgäste, es gab einen Personenunfall. Unsere Weiterfahrt verzögert sich auf unbestimmte Zeit." Ein paar Minuten später geht das Licht aus. Ein technischer Schaden, heißt es da plötzlich, "der Zug muss geräumt werden, am Gleis gegenüber trifft ein neuer ein - bitte steigen Sie um."
Wir stolpern ungläubig in die nächtliche Kälte und tatsächlich, da kommt auch schon ein Zug. Nur: Wohin fährt er? Wir wissen es nicht. Die Bahn scheint auch noch unentschlossen. Es kommen die verschiedensten Durchsagen. Mal hält der Zug in meiner Stadt, dann heißt es wieder, er hielte dort nicht. Ein sagenhaftes Chaos, in mir fängt es wieder an zu knurren, dabei hatte ich mein Bahn-Bashing schon so gut im Griff! Ich mache mich auf zum nächsten Schaffner, mein Knurren schlägt um in Kichern während ich durch die Gänge trabe. Man muss alles immer auch positiv sehen. Die Bahn fordert mich heute echt heraus, aber vielleicht handelt sie ja in einem höheren Auftrag. Ich soll es buddhistisch angehen, meinen Hass als Prüfung ansehen. Oder nur die versteckte Kamera suchen?
41 /
2005
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