Zunächst war ich auf naive Weise fasziniert und bezaubert von der Schilderung des Lebens in freier Natur und trage seitdem eine romantisch verklärte Sehnsucht nach den Wäldern Norwegens in mir.
Trotz meiner Unerfahrenheit berührte mich die Liebe zwischen Ronja und Birk. Die beiden sind im Buch nicht viel älter als ich es damals war. Was sich zwischen ihnen abspielt, hat mit sexueller Anziehung wenig zu tun, doch ihre Herzen sind reif genug, um sich zu verlieben. Und das kannte ich, auch schon mit acht. Ich verstand Ronja, die sich von Birk angezogen fühlte, und noch gar nicht wusste, warum.
Und doch war die Räubertochter so anders als ich. Mutiger, konsequenter und vor allem: abenteuerlustig. Um zu lernen, wie man die Angst überwindet, begab sie sich freiwillig in Gefahr. Ich hatte gelernt, gefährlichen Situationen aus dem Weg zu gehen, und war damit als Kind gut beraten. Ronja tat all das, was ich mir niemals zugetraut hätte. Und dann verlässt sie ihr Elternhaus, um vielleicht nie wieder zurückzukehren. Für mich war das damals unvorstellbar und das Traurigste, was ich mir denken konnte. Warum sie es tun musste, habe ich nicht wirklich verstanden, doch ich erinnere mich daran, dass ich in meinem Kinderzimmer mit Ronja weinte, als sie ihrer Mutter Lebewohl sagt. In dieser Nacht konnte ich lange nicht einschlafen.
Das Schlimmste jedoch war der Tod des Räubers Glatzen-Per. Wenn in Kinderbüchern jemand stirbt, wird es gern distanziert erzählt, um es abstrakter zu machen. Nicht so bei Astrid Lindgren. Als Glatzen-Per starb, stand ich am Totenbett und hörte seine letzten Worte, sah, wie er die Augen schloss. Ich war schockiert, weil ich da etwas erlebte, das bisher ein absolutes Tabu gewesen war. Als ich acht war, war in meiner Familie noch niemand gestorben, endgültige Abschiede kannte ich nicht. Ich brauchte eine Weile, um dieses Kapitel zu verdauen.
Und der Tod kommt in Ronja Räubertochter nicht nur einmal vor. Immer wieder fürchtet Ronja um ihr Leben. Was sich das Mädchen in diesen Momenten ausmalt, beunruhigte mich zutiefst. Die Gedanken an die Möglichkeit, etwas zum letzten Mal zu tun, jemanden zum letzten Mal zu sehen, waren die Vorboten der Erkenntnis meiner eigenen Sterblichkeit.
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Ronja Räubertochter ist das letzte Buch, das Astrid Lindgren geschrieben hat. Für mich war es das erste Buch, in dem es um die großen Dinge des Lebens geht.