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Eine Dosis Egoismus tut manchmal gut, besonders wenn sie von Truman Capote verabreicht wird.

"Du Individualist!" Aus dem Mund der Eltern ist das kein Kompliment. Aus dem Mund des Mitbewohners auch nicht. Noch weniger aus dem Mund von Verkehrsteilnehmern. "Du bist doch nicht allein auf der Welt!" schwingt da mit. Bloß weil man mit dem Fahrrad auf der falschen Straßenseite fuhr. Oder nachts mit dem Schlüssel klapperte. Oder weil man knutschend in einem Club gesehen wurde, das dem Rest der Welt gegenüber aber unerklärt lassen möchte.

Für so etwas werde ich nicht nur in die Egoisten-Ecke abgeschoben. Ich bekomme davon auch noch schlechte Laune, suche die Schuld tatsächlich bei mir. Weil mir wichtig ist, was andere über mich denken. Manchmal vielleicht zu wichtig. Ein gutes Gegenmittel in so einem Fall ist Holly Golightly, wohnhaft in einem roten Sandsteinhaus auf der Upper East Side in New York. Auf ihrer Visitenkarte steht nur "Miss Holiday Golightly – auf Reisen." Das ist Individualismus mit Stil.

Wenn Holly nach Hause kommt, klingelt sie beim Nachbarn, Herrn Yunioshi. Immer. Weil sie nie ihren Haustürschlüssel mitnimmt. Sie ist da konsequent. Den könnte man ja verlieren. Herr Yunioshi schläft meistens, wenn Holly klingelt. Also tobt er. "Sie sind doch nicht allein auf der Welt", schleudert er ihr entgegen. Holly bleibt davon völlig unbeeindruckt und beruhigt ihn so charmant, wie nur sie es kann.

Dieser Frau kann man nichts abschlagen, nichts übel nehmen, nichts verweigern und man kann nichts von ihr erwarten. Holly Golightly ist niemandem etwas schuldig. Sie dreht sich immer nur um sich selbst.

Frühstück bei Tiffany ist als Film weltberühmt geworden. In vielen Wohngemeinschaft hängt ein Poster von Audrey Hepburn als Holly Golightly in der Küche. Die Romanvorlage von Truman Capote ist rauer als die Filmversion, das Happy End des Films findet man darin nicht. Die Atmosphäre ist trotzdem ähnlich: Es riecht geradezu nach dem New York der Vierzigerjahre. Oder nach dem, was man sich darunter vorstellt.

Die Handlung ist schnell erzählt, das ganze Werk liest sich in zwei Stunden: Holly kommt nach Hause, wenn andere Menschen zur Arbeit gehen, lebt vom Geld ihrer reichen Liebhaber, verkehrt mit Mafiagrößen und fühlt sich am wohlsten bei Tiffany, einem Schmuckgeschäft. So plötzlich, wie sie an einem Ort aufgetaucht, verschwindet sie auch wieder. Zwischendurch wird sie verhaftet und von ihrem Ex-Mann aufgespürt. Nachts flüchtet sie über die Feuerleiter zu ihrem Nachbarn, dem Ich-Erzähler, durch dessen Augen der Leser Holly kennen lernt.

Holly macht, was sie will, ist spontan und oft rücksichtslos. Sie lässt sich treiben, träumt, trauert. Manchmal ist sie sehnsüchtig, dann wieder liebvoll, dann verführerisch. Oft hat sie Angst. Einzig Tiffany, die künstliche Luxus-Welt, gibt ihr Ruhe und Sicherheit. Das Geschäft ist der Ort, der sie vor der Wirklichkeit schützt, an dem alles in sich schlüssig ist. Wieso, weiß sie selbst nicht so genau. Aber erst wenn sie so einen Ort zum Leben findet, sagt sie, wird sie ihrem Kater einen Namen geben, ihre Koffer auspacken und sich Möbel kaufen. Sie möchte frei sein, doch sie ist nicht sie selbst.

Nicht, dass man annähernd so sein will wie sie. Bloß nicht. Die Frau ist ahnungslos und unerträglich egozentrisch. Manche bezeichnen sie sogar als Flittchen. Trotzdem ist Holly heilig. Ihr nimmt man nichts übel, gerade weil sie so ahnungslos ist. Sie klingelt weiterhin an fremden Türen, um ins Haus gelassen zu werden. Sie nimmt sich jeden Mann mit in die Wohnung, den sie begehrt. Die spießige Nachbarin nennt Holly eine Schlampe, aber Holly ist das herzlich egal. Holly ist Holly, die Welt muss sich mit ihr arrangieren und nicht umgekehrt.

Natürlich wäre eine Überdosis Holly nicht gut für das eigene Sozialleben. Wer so lebt, wäre ziemlich schnell ziemlich alleine. Trotzdem: Wenn ich mal wieder darunter leide, als Egoist beschimpft worden zu sein, ist es heilsam zu sehen, dass jemand anderes so egoistisch sein und dabei so gelassen bleiben kann.

Auch schön:

Letzte Woche - Habt keine Angst!

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