Meine Eltern kennen mich so gut wie sonst niemand, obwohl sie seit mehr als zwanzig Jahren nicht mehr Bestandteil meines Alltags sind. Aber es ist nicht wichtig, was auf meiner Visitenkarte steht, womit genau ich mein Geld verdiene, was ich für Musik höre, wie ich mich anziehe, wie meine Wohnung aussieht, was ich esse und mit wem ich mich rumtreibe. Wichtig ist vielmehr dieses einzigartige Gefühl zwischen ihnen und mir, und das ist da, und es ist warm und geht niemals weg. Und wenn ich sie dann besuche, möchte ich auch gar nichts über Einschaltquoten, Leistungsdruck, Oberflächlichkeit, Enttäuschungen oder Autounfälle erzählen, weil all diese Dinge mir nicht zuletzt wegen der unkonditionierten Liebe, die meine Eltern mir geben, nichts anhaben können. Dann möchte ich viel lieber Geschichten aus unserem Dorf hören, die Mama und Papa beschäftigen, nämlich warum mein Cousin und seine Frau sich getrennt haben, der neue Pfarrer so unbeliebt ist und der Kirchenchorleiter schon nach so kurzer Zeit wieder das Weite sucht. Ich will wissen, wer gestorben ist und wer von meinen ehemaligen Grundschulklassenkameraden geheiratet, Kinder bekommen oder sich getrennt hat.
Meine Eltern denken dann immer, dass mich das, gemessen an meinem ja sonst so glamourösen Leben, entsetzlich langweilen würde, aber genau das Gegenteil ist der Fall, weil ich mich, je schneller sich bei mir alles dreht, um so mehr nach den so ganz anderen Realitäten und Prioritäten in einem kleinen bayerischen Dorf sehne. Um so kurioser, dass sich beides bei meinem letzten Besuch vermischte, weil da in der Lokalzeitung ´Donau Kurier´ nicht nur ein Interview mit mir war, sondern auch ein Foto meines Papas, der eine Ehrung seines Vereins bekam sowie noch eins vom Kirchenchor, auf dem meine Mama zwar fehlte, was aber nichts daran änderte, dass meine Eltern tags darauf von 5000 Leuten auf die Präsenz der Familie Kavka in den regionalen Medien angesprochen wurden. Es hat eine halbe Stunde gedauert, bis sie sich den Weg durch die Menschenmassen vor der Kirche bahnen konnten, um in den Sonntagsgottesdienst zu gelangen.
Dann kommen noch meine Tante und mein Onkel vorbei, die 500 Meter weiter wohnen, und meine Tante hat Kuchen und ganz viel Marmelade gemacht, die ich nicht mitnehmen kann, weil das im Flieger mit dem Handgepäck jetzt immer so ein Zirkus ist, was sie ja nicht wissen können. Aber egal, diese Nahrungsmittel- und Süßigkeitengrundversorgung kann und will ich ihnen gar nicht austreiben, genau so wenig wie das Spritgeld, das meine Mutter mir zum Abschied immer so halbheimlich in die Hosentasche steckt, weil das eben Dinge sind, die Eltern mit ihren Kindern machen.
Die Sachen, die Kinder mit ihren Eltern machen, können noch lange warten. Ich bin mir nämlich sicher, dass sie noch ganz lange gesund bleiben, und selbst wenn sie es irgendwann nicht mehr sind, dann werde ich nicht zulassen, dass sich jemand anderer als mein Bruder, meinen Tanten und Onkel und ich um sie kümmern werden, genau so, wie sie das auch mit ihren Eltern gemacht haben, da war von einem Alters- oder Pflegeheim nie die Rede.
Vor ein paar Monaten hätte ich ein Versprechen wie dieses noch von ihnen unbemerkt in dieser Kolumne publizieren können. Sie haben zwar immer noch kein Internet, allerdings druckt ihnen neuerdings ein Freund alle Texte von mir und über mich aus. Was sie deswegen auch schon wissen: Ende Februar erscheinen die Zuender-Kolumnen gesammelt auch als Buch.