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Leipzig

Ein Haus, fast umsonst

TEIL 2

Ohnehin besitzt die Wohngemeinschaft einen Sonderstatus, denn normalerweise vermittelt der Verein HausHalten die Wächterhäuser nicht als Wohnraum. Sie sollen ein kultureller Anlaufpunkt im Stadtteil sein, der Vereinen und Künstlerinitiativen „viel Platz für wenig Geld” bietet und etwas zur allgemeinen Lebensqualität beiträgt. „Mieter von Wohnraum könnten bestimmte Forderungen an den Verein stellen, der ja als Vermieter auftritt. Das können wir uns nicht leisten”, gibt Juliana Pantzer zu. Zudem sollen die Wächterhäuser keine Konkurrenz auf dem Mietmarkt darstellen, da schon die Vermittlung komplett sanierter Gründerzeithäuser in Leipzig oft ein schwieriges Unterfangen ist. 55.000 Häuser stehen hier leer, seit der Wende hat die Stadt rund 100.000 Einwohner verloren.

Die Merseburger Straße 17 wäre ohne das unkommerzielle Nutzungskonzept in nicht allzu langer Zeit abbruchreif gewesen. Am Nachmittag sitzen die Bewohner gemeinsam im Hinterhof auf ein paar klapprigen Metallstühlen und genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Irgendjemand hat Kaffee aufgebrüht und Tino Grasselt, ein junger DJ, der gerade den dritten Stock umbaut, raucht genüsslich. Die Gruppe macht einen sehr familiären Eindruck. „In anderen Wächterhäusern geht es aber wesentlich anonymer zu”, sagt Alena Bleicher. Sie seien die einzige Nutzergruppe, die nicht vom Verein zusammen gewürfelt wurde, sondern sich auf eigene Faust gemeinsam auf die Suche nach einem solchen Haus gemacht habe. „Übrigens, vorigen Freitag haben mich schon wieder zwei Leute gefragt, ob wir noch ein Zimmer frei haben”, erzählt Simone Herth und lacht. „Die Nachfrage ist wirklich erstaunlich.”

Doch so skurril es unter den gegebenen Umständen erscheint – das Angebot ist nicht groß. Um ein Gebäude zu einem Wächterhaus zu machen, muss nämlich der Eigentümer zustimmen. Und genau hier liegt das Problem. Oft sind Erbengemeinschaften über ganze Kontinente verstreut oder die Besitzer nach Westdeutschland gezogen und unauffindbar. „Wenn sich zehn alte Omas nicht einigen können, sind wir auch machtlos”, witzelt Stadtplanerin Pantzer lakonisch. „So ist es für den Verein nicht einfach, passende Objekte zu finden und die Verhandlungen mit den Eigentümern erfolgreich abzuschließen, denn diese müssen für Strom- und Wasseranschluss sorgen und haben dadurch erhebliche Investitionen. Momentan stehen 200 Menschen auf der Warteliste, die gern ein Wächterhaus hüten würden, aber alles ist belegt. „Wir verlangen mittlerweile ein Konzept von den Bewerbern”, sagt Juliana Pantzer. „Damit wir nachprüfen können, was sie an dem Haus verändern wollen und ob die Umsetzung funktioniert.” Angesichts der Nachfrage kann der Verein es sich leisten, Bedingungen zu stellen.

In der Merseburger Straße regnet es immer noch durchs Dach. Eigentümer Wolfgang Röder, ein Mann mit freundlichen Augen und knallrotem Hemd, findet die Bewohner im Hof und erkundigt sich, ob schon etwas getan worden sei. Er ist der einzige Wächterhaus-Besitzer, der in Leipzig lebt. Auch er hat das Haus geerbt – eigentlich nur ein Viertel davon. „Jetzt übernehme ich aber hundert Prozent der Kosten”, sagt er, setzt sich auf einen Stuhl und zuckt mit den Schultern. Zu DDR-Zeiten sei das Haus noch voll bewohnt gewesen. „Danach sind viele in den Westen gezogen und haben die Schlüssel an irgendwelche Kumpels weitergegeben.” So war das Haus einige Jahre lang besetzt, ohne dass Miete floss. Als Röder schließlich Strom und Wasser abschalten ließ, demolierten die unliebsamen Bewohner alles – aus Wut und Rache, glaubt er. Das leerstehende Gebäude wurde anschließend mehrfach geplündert, das Treppengeländer war schon nach kurzer Zeit verschwunden, wie es in vielen vergleichbaren Häusern Leipzigs auch geschah. „Eine Sanierung hätte ich mir nicht leisten können”, erzählt Röder und klimpert mit seinem Schlüsselbund. „Allein das Entrümpeln und der Stromanschluss haben schon Unsummen gekostet. Aber jetzt verfällt das Haus wenigstens nicht.”

Das oberste Stockwerk sieht noch aus wie eine Baustelle. Holzbretter lehnen an den Wänden, Farbeimer stehen in einer Ecke, eine Leiter in der anderen. Gemeinsam mit DJ Tino Grasselt wollen hier noch einige Schauspieler und Musiker ihre Ateliers errichten. „Ich bin fast jeden Tag hier”, erzählt der 27-Jährige lächelnd und schaut aus dem Fenster in den Hof hinunter. Dort unten könnte er sich vorstellen, eine Bühne aufzubauen – „für kleine Konzerte oder Partys. Der Garten ist ja groß genug.” Bisher liegt dort allerdings noch ein riesiger Bretterberg hinter einem einsam stehen gebliebenen Tor aus gelben Backsteinen. Das Holzhaus, das früher eine Glaserei beherbergte, war schon zu DDR-Zeiten verfallen und wurde vor Jahren abgerissen. Auf der anderen Seite des Gartens haben die Hausbewohner bereits kleine Beete angelegt, ordentlich mit Steinen umringt und bewachsen von Radieschen oder Kräutern. „Ideen gibt es so viele”, meint Wolfgang Röder schwärmerisch. „Schwieriger ist es, Leute zu finden, die sie umsetzen.”

Simone Herth lächelt. Wenn sie in ein paar Jahren mit ihrem Studium fertig und hauptberuflich Schriftstellerin ist, wird sie schon längst ein eigenes Podium für die Lesungen ihrer ersten Romane besitzen.

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