Barcelona ist die „Hauptstadt der Hausbesetzer“. Doch weil die Immobilienpreise steigen und steigen, geraten die Aktivisten immer öfter mit der Stadtverwaltung und Immobilienmaklern aneinander. Es geht um die Seele der Stadt
Von Kati Krause
Groß und still steht die frühere Textilfabrik im Poblenou, einem früheren Industrieviertel in Barcelona. Ein paar diffamierende Sprüche über den früheren Bürgermeister Joan Clos und die Immobilenspekulanten wurden an die Mauern gesprüht. Sonst zeugt nicht viel davon, dass die „Can Ricart“ noch vor zwei Wochen von der Künstlerkollektive
La Makabra
besetzt war und im Mittelpunkt des öffentlichen Geschehens stand.
Das frühere Zentrum der
Okupas
, der Hausbesetzer – eine andere Fabrik im gleichen Stadtviertel – war geräumt worden, und 130 Mitglieder der
Makabra
waren nach
Can Ricart
umgezogen, auf der Suche nach einem neuen Platz zum Leben und Arbeiten. Aber auch, um auf den Mangel von erschwinglichem Raum aufmerksam zu machen.
Die Immobilienpreise sind in Barcelona während der vergangenen Jahre noch stärker gestiegen als im restlichen Spanien. Der Durchschnittspreis pro Quadratmeter liegt (je nach Stadtviertel) zwischen 4.000 und 10.000 Euro, und Hypotheken auf 50 Jahre sind für junge Paare keine Seltenheit mehr. Nicht nur korrupte Verwaltungsbeamte und Bauunternehmer wollen mit dem Boom Geld verdienen. Auch gut situierte Normalbürger sehen eine Zweit- oder Drittwohnung zunehmend als gute Investition.
Das wäre kein Problem, wenn diese Wohnungen auf dem Markt blieben; doch hunderttausende stehen allein in Katalonien leer. Der Mangel an Mietwohnungen hat dazu geführt, dass die Mieten ebenfalls stark gestiegen sind und man in Barcelona nur noch mit viel Glück ein WG-Zimmer unter 400 Euro findet – und das bei quasi nicht existierendem Mieterschutz.
Die
Okupa
-Bewegung wendet sich in erster Linie gegen diese Missstände. Aber es geht um mehr: um Raum für Kunst und ihr Recht auf einen eigenen Lebensstil. Und auch um die Seele Barcelonas.
Geht man um das Gebäude der alten Textilfabrik herum, trifft man auf ein riesiges Wandgemälde: „Can Ricart gehört allen“ steht da. Man darf sich davon nicht verwirren lassen: Die Mauer, die dem Gemälde als Leinwand dient, gehört gar nicht zu Can Ricart, und Can Ricart gehört nicht allen, sondern dem katalanischen Grafen Frederic Ricart.
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Was aber tut dieser Graf mit seiner alten Fabrik, einer von nur dreien, die noch aus dem 19. Jahrhundert übrig sind, wie Anwohner und Denkmalschützer immer wieder betonen? Bisher gar nichts. „Er lässt sie verfallen, damit sie bald abgerissen werden kann und an ihrer Stelle teure Lofts gebaut werden, wie überall in unserem Viertel!“ So denken Ana und viele andere Mitglieder der Nachbarschaftsvereinigung
Salvem Can Ricart
– „Wir retten Can Ricart“, die für den Erhalt der Fabrik kämpfen. „Die Stadtverwaltung hört nur auf Bauunternehmer und Investoren und denkt nicht an die Bürger. Nur das Geld zählt!“
Und deshalb unterstützte die Vereinigung, ebenso wie die Anwohner des Poblenou, die Organisation
Architekten ohne Grenzen
, die katalanischen Grünen und natürlich Barcelonas
Okupa
-Netzwerk, die Aktion der
Makabra
. Doch weder Demonstrationen noch Argumente oder die Sabotage öffentlicher Veranstaltungen unter dem Motto „Kultur darf man nicht auf die Straße setzen“ halfen: Der Bürgermeister weigerte sich, mit den Aktivisten zu sprechen. Durch „illegitime Taten“ wolle er sich nicht an den Verhandlungstisch zwingen lassen, und schon nach zwei Wochen wurde die Fabrik wieder von der Polizei geräumt.
Barcelona wird häufig Europas Hauptstadt der Hausbesetzer genannt. Das liegt einerseits an der Zahl besetzter Häuser – die
Okupa
-Bewegung selbst schätzt diese auf 220; die Polizei, die zum Beispiel auch von Immigranten besetzte Gebäude mit einbezieht, gibt 330 als offizielle Zahl an. Andererseits sind die
Okupas
in Barcelona erstklassig organisiert: Es gibt ein Informationsbüro für Hausbesetzer das auch rechtlichen Beistand leistet, einen wöchentlichen Email-Newsletter, der über Dutzende soziale und kulturelle Veranstaltungen und Workshops informiert, Piraten-Radiosender und regelmäßige „Gratisläden“, zu denen man bringt, was man nicht mehr braucht, und mitnimmt, was man benötigt. Die prominente Band
Ojos de Brujo
kommt aus Barcelonas
Okupa
-Bewegung, und Manu Chao, ein regelmäßiger Gast in besetzten Häusern, unterstützt sie offen.
Es geht hier also nicht einfach um Menschen, die kein Geld für eine eigene Wohnung haben:
Okupa
ist ein alternativer Lebensstil, eine Mischung aus den Hippiekommunen der Sechziger und Siebziger, freier Kunst und der antikapitalistischen und anarchistischen Bewegung. Dieser Lebensstil wurde im traditionell linken Katalonien lange Zeit von der Politik toleriert und auf sozialer Ebene sogar gefördert.
Doch über 150 Räumungen im vergangenen Jahr, manche weniger friedlich als andere, zeugen davon, dass die Toleranz der Stadt am Ende zu sein scheint. „Die Verwaltung will Barcelona zum Disneyland machen, mit vielen Läden und Picasso für wohlhabende Touristen!“ beklagt Jordi, Bewohner eines besetzen Hauses im Viertel Sant Pere. Diese Kritik hört man des Öfteren in letzter Zeit – vor allem, seit die Stadt mit neuen Gesetzen zum „zivilisierten Zusammenleben“ früher normale Aktivitäten mit hohen Geldstrafen ahndet – wie den Straßenhandel, Konsum von alkoholischen Getränken auf öffentlichen Plätzen, Betteln, das Schlafen auf Parkbänken und Musizieren ohne Lizenz. Auch werden derzeit Dutzende Bars und Diskotheken wegen Lärmbelästigung geschlossen und Lizenzen entzogen.
Der Immobilienboom treibt die Wirtschaft an. Doch während Bauunternehmer weiter zum Kauf aufrufen („nächstes Jahr wird alles noch viel teurer!“) haben Plattformen wie „No vas a tener una casa en la puta vida“ (wörtlich: „Du wirst in deinem ganzen Scheißleben kein Haus besitzen“) weite Teile der Bevölkerung auf das Problem aufmerksam gemacht. „Die Blase platzt nur, wenn wir aufhören zu kaufen!“ lautet ihr Leitspruch. „Aber wir können nur aufhören zu kaufen, wenn wir endlich in Ruhe mieten können.“