Weil die Polizei die Grenzen der Europäischen Union nicht mehr vollständig überwachen kann, sollen nun Bürger via Webcam helfen, illegale Immigranten aufzuspüren. Ist das ein Kunstprojekt oder die Wahrheit?
Von Franziska Schwarz
„Gegen das hier ist die NPD ja linksradikal!“, ruft ein junger Mann, schaut Georg Klein an und wartet auf eine Antwort. Der mit Hut auf dem Kopf und einem sternförmigen Abzeichen samt Namensschild am Revers seines Jacketts verzieht keine Miene. Als Vorsitzender der
European Border Watch (EUBW)
hat er anderes zu tun. Georg Klein bewacht die viele tausend Kilometer lange Außengrenze der EU. Das zumindest suggeriert er den Besuchern seiner Ausstellung in einem alten Grenzwachturm an der Schlesischen Straße in Berlin.
Die Idee der
EUBW
orientiert sich an einem Vorbild aus den USA. Im Rahmen der
Texas Virtual Border Watch
helfen mehr als 200.000 Bürger freiwillig, die Grenze zu Mexiko zu kontrollieren: Sie beobachten an ihren heimischen Computern die Bilder von Webcams, die entlang des Grenzzauns montiert sind. Die Freiwilligen wollen damit der Einwanderungspolitik der Regierung Nachdruck verleihen, die ihrer Meinung nach zu lasch ist. In den USA ist die
Texas Virtual Border Watch
kein Einzelfall, die Bürgerinitiative
A
merican Patrol
beispielsweise nutzt ferngesteuerte Flugkörper und Bodensichtgeräte, um illegale Einwanderer aufzuspüren und zu melden.
Angesichts von jährlich 500.000 illegalen Immigranten in der EU sei es Zeit, ein solches Modell auch in Europa umzusetzen, sagt
Georg Klein
, der vermeintliche Vorsitzende der European Borderwatch. Alle Bürger, die über einen Internetanschluss verfügen, sollen mithelfen, via Webcam Abschnitte der EU-Grenze zu beobachten, und verdächtige Beobachtungen an die europäische Grenzschutzagentur
Frontex
melden. Die Kameras der
EUBW
(von denen es in Wahrheit keine einzige gibt) laufen 24 Stunden am Tag und verfügen auch über einen Nachtsichtmodus.
„Be a web patrol — save your border“ - mit diesem Slogan rekrutiert Georg Klein potenzielle Heimatschützer auch per E-Mail. Ausdrucke der Korrespondenz liegen auf seinem Tisch, die Antworten sind hitzig: „Nazis!“, „Ich hör wohl nicht richtig“ und „Mailen Sie mich nie wieder an“ schreiben die Empfänger. Das ist genau die Reaktion, die Klein sich wünscht, denn obwohl die
EUBW
fiktiv ist, strahlt
die Webseite des Projekts
die unterkühlte Sachlichkeit der Internetauftritte vieler Behörden aus. Registrieren kann man sich direkt online oder im Berliner Büro der
Borderwatch
, das sich im Obergeschoss des alten Wachturms befindet.
Im Inneren dieses Turms ist es eng und dunkel, dafür ist der Ausblick auf die Umgebung hervorragend. Ein Suchscheinwerfer, grün getönte Scheiben und ein Lasersensor am Fenster schaffen eine beklemmende Atmosphäre. Ein Stockwerk tiefer knackt, surrt und klickt es, in die sechs Schießscharten des Turmes sind Monitore eingepasst. Sie zeigen Satellitenaufnahmen pixeliger Landschaften: Eisschollen schwimmen vorbei, Bäume wiegen sich im Wind. Das sind Ausschnitte der Außengrenze Europas, sagt Klein, hier träten sehr oft illegale Immigranten über. Entlang des polnischen Flusses Bug zum Beispiel, in einem Teil des Karpaten-Gebirges zwischen Rumänien und der Ukraine und hier – Klein fährt am Monitor mit dem Finger einen Bretterzaun nach – zwischen Mexiko und den USA. An dieser Grenze unterstütze die
EUBW
ihre Partnerorganisation T
exas Border Watch
, erzählt er den Besuchern. An dieser Stelle wird sein Vortrag vollends surreal, Georg Klein löst das Rätsel.
Die
EUBW
sei ein Test, wie die Öffentlichkeit auf ein solches Angebot reagiere, sagt er. Der Lasersensor am Fenster fixiert also nicht vorbeihuschende Menschen, doch er übersetzt die Verkehrsdichte auf der Schlesischen Straße in ein unangenehmes Dröhnen. Als ein Hund an dem Turm vorbeistreunt, löst das Alarm aus. „Unheimlich ist das hier. Als ich den Flyer und den Internetauftritt der
EUBW
gesehen habe, dachte ich, das Projekt wäre real“, sagt eine junge Besucherin.
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Bereits elf Menschen haben das Angebot, ein freiwilliger Grenzschützer zu sein, angenommen. Einer von ihnen möchte sämtliche empfohlenen Gebiete überwachen: den Atlantik, Nordwest-Afrika, das Mittelmeer und die Ostgrenzen A, B und C (Rumänien, Ungarn, Polen). „Der bekommt von mir einen Grenzabschnitt zugeteilt. Beim ersten Treffen teile ich ihm allerdings mit, dass es sich nur um ein Kunstprojekt handelt“, sagt Georg Klein.
Ein Modell, wie er es hier in Berlin inszeniert hat, hält Klein in Europa nicht für möglich, zumindest nicht von offizieller Seite. „Wenn die
EUBW
allerdings eine private Organisation wäre, könnte ich mir schon vorstellen, dass einige mitmachen. Weil es so schön inkognito ist.“