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Jugendgewalt

amok.exe

Aufstehen, anziehen, abschlachten – den Amoklauf von Littleton gibt es als Computerspiel. Was denkt einer, der so etwas programmiert? Oskar Piegsa hat ihn gefragt


Zweidimensionale Grafik, polyphones Gedudel – jedes Computerspiel-Magazin würde das Spiel verreißen. Trotzdem hat Super Columbine Massacre Role-Playing-Game (SCMRPG) seinen Programmierer in den USA berühmt gemacht. Denn in Daniele Ledonnes Spiel begleitet man keine dickbäuchigen Klempner beim Prinzessinnenbefreien – sondern Eric Harris am letzten Tag seines Lebens. Jenem 20. April 1999, an dem der 18-Jährige zusammen mit Dylan Klebold 13 Mitschüler an der Columbine High School und zum Schluss sich selbst ermordete.

Viele suchten auf ihre Weise nach Erklärungen für das Massaker. Das Jefferson County Sheriff’s Office veröffentlichte seinen 11.000-seitigen „Columbine Report" zusammen mit privaten Notizen und Schulaufsätzen der beiden Mörder im Internet. Mindestens ein Dutzend dokumentarischer und fiktiver Bücher ist entstanden, zahlreiche Musiker nahmen sich des Themas in ihren Texten an und Michael Moore und Gus Van Sant wurden für ihre Filmversionen des Geschehens mit dem Oscar bzw. der Goldenen Palme ausgezeichnet, den wichtigsten Filmpreisen der Welt.

Das größte Mysterium von Columbine, sagt der Programmierer Daniele Ledonne, seien die Täter: Harris und Klebold selbst. Super Columbine Massacre , das Ledonne im April 2004 zum fünften Jahrestag des Amoklaufs kostenlos im Internet veröffentlichte, erforsche dieses Rätsel. Es verlange von seinen Spielern moralische Selbstprüfung, eine Kombination aus Lesen, Spielen und Nachdenken – und sei gleichzeitig eine Einladung, darüber zu diskutieren, was Computerspiele sein können.

Manche teilen diese Ansicht. Nachdem Super Columbine Massacre lange Zeit außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung gespielt und im Internet diskutiert wurde, wurde es im Januar dieses Jahres schlagartig berühmt. Die Jury des Slamdance Film Festivals nominierte Ledonnes Spiel für ihre Kategorie Guerilla Games Competition . Super Columbine Massacre schaffte es bis ins Finale – bis es überraschend aus dem Wettbewerb genommen wurde. Sechs andere Finalisten zogen daraufhin aus Protest ihre Spiele zurück. Schließlich wurde entschieden, dieses Jahr keinen Sieger der Guerilla Games Competition zu küren.

Spätestens seit Slamdance hat die Kontroverse um Super Columbine Massacre in den USA die breite Öffentlichkeit erreicht. Manche nennen den 25-jährigen Daniele Ledonne einen „zutiefst verstörten Dummkopf", andere ein Genie. Und was sagt er selbst?

Hast Du damit gerechnet, dass Dein Spiel eine Kontroverse dieses Ausmaßes auslösen würde?

Obwohl das vielleicht naiv klingt: Ich hatte keine Ahnung. Ich hätte nie gedacht, dass es so sehr im Mittelpunkt öffentlicher Diskussion stehen würde, und auch nicht, dass ich es damit beim Slamdance Festival bis ins Finale schaffen würde.

Du hast Dein Spiel zunächst unter dem Pseudonym „Columbin” veröffentlicht. Warum?

Ein Grund war, dass mein Name in der Computerspiele-Industrie ohnehin nicht bekannt war. Zum anderen wollte ich nicht, dass sich die Diskussion um mich als Person dreht, sondern um das Spiel und den Amoklauf in Columbine. Außerdem war mir damals zumindest teilweise bewusst, dass das Spiel kontrovers sein würde. Ich wollte nicht, dass mir jemand das Fenster einschmeißt, oder dass ich deshalb meinen Job verliere. Nach dem Massaker in Columbine wurdest du an meiner Schule schon als potenzieller Amokläufer angesehen, wenn du die falschen Klamotten trugst, die falsche Musik hörtest, oder die falschen Witze erzähltest.

Wie reagiert denn Dein persönliches Umfeld darauf, dass Du der Mensch hinter SCMRPG bist?

Der größte Teil meines täglichen Lebens ist immer noch genauso wie früher. Ich war ohnehin eine Art Lokalpromi in meiner Gemeinde – weil ich mich bei bestimmten Situationen schon immer gezwungen sah, meine Meinung zu sagen. Ich habe gegen den Irak-Krieg demonstriert, bei Kundgebungen gesprochen und Kommentare in der Zeitung geschrieben. Zwischen meinen Freunden und meiner Familie und mir hat sich nichts geändert – außer, dass sie mich wahrscheinlich für noch ein bisschen exzentrischer halten als vorher.

Dein Spiel erinnert an Art Spiegelmanns Maus , ein Comic, der die Geschichte eines Holocaust-Überlebenden und seines Sohnes mithilfe einer Tiermetapher erzählt. Sowohl Comics als auch Computerspiele gelten als triviale, wenn nicht sogar verrohte Medien – Du und Spiegelmann habt sie trotzdem verwendet, um „ernste Themen" zu behandeln.

Fast jeder Vergleich, den ich zwischen meinem Spiel und irgendetwas anderem ziehe, wird von den Spielern gefeiert und von den Kritikern denunziert. Ich kenne Maus und ich sehe einige Verbindungen. Ich selbst vergleiche SCMRPG in Bezug auf die Form und die Kontroverse, die es ausgelöst hat, manchmal mit Vladimir Nabakovs Roman Lolita . Aber wahrscheinlich werden Leute, die Nabakov bewundern und SCMRPG hassen, über solche Vergleiche vor Wut außer sich geraten.

Jedenfalls ist Super Columbine Massacre in der Literaturgeschichte nicht das einzige vermeintlich triviale Werk, das ein ernstes Thema anspricht. Warum gibt es trotzdem jedes Mal so einen Aufschrei, wenn das passiert?

Vielleicht liegt es daran, dass wir nur langsam lernen. Zu sagen, Spiele seien nicht Kunst, weil sie interaktiv sind oder dass man selbst morde, wenn man die Rolle des Mörders spiele, ist für mich Zeichen eines engstirnigen, reaktionären Kunstverständnisses. Gesellschaften tendieren dazu, unliebsame Positionen zu marginalisieren. Aber ich glaube, dass die Zeit zeigen wird, dass das Super Columbine Massacre einen künstlerischen Eigenwert hat und dass ich nicht bloß der „zutiefst verstörte Dummkopf" bin, als den mich manche bezeichnet haben.

Was muss passieren, damit Computerspiele als narrative Gattung anerkannt werden – wie Filme oder Comics es mittlerweile sind?

Das ist kein Entweder-Oder-Prozess, der damit endet, dass Spiele eines Tages universelle Akzeptanz genießen. Es gibt ja auch nach wie vor kontroverse Filme und Bücher. Computerspiele sind nur eine Option, um sich kontrovers mit einem Thema auseinanderzusetzen. Aber sie sind gleichzeitig ein sehr geeignetes Medium dafür, weil sie dem Publikum erlauben, Autor seiner eigenen Erfahrung zu sein.

Du hast Film studiert und auch den Film Ship of Fools gedreht, eine Lego-Animation, die auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Theodore Kaczynski basiert. Auch dort hast Du schon etwas verwendet, das eigentlich Spielzeug ist, um damit die Ideologie zu bearbeiten, die den Unabomber Kaczynski dazu führte, mit seinen Anschlägen Menschen zu töten.

Der Film und das Spiel sind sehr ähnlich, denn in beiden Fällen habe ich ein Medium, von dem die meisten Menschen sehr geringe Erwartungen haben, benutzt, um etwas Verstörendes und Kritisches zu machen. Einer meiner College-Professoren hat immer gesagt, dass wir nur durch Fantasie und Metaphern wichtige Themen ernsthaft angehen können. Das habe ich bei der Unabomber-Geschichte und der Tragödie von Columbine versucht. Vielleicht gibt es in Zukunft noch andere Themen, die ich auf unkonventionelle Art angehen werde – schließlich will das Publikum etwas Neues und Anderes. Zumindest will ich das.

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