Hallo. Wohnt ihr hier? Nur einer von ihnen spricht Englisch, obwohl es die offizielle Landessprache ist. Er heißt Jun und übersetzt meine Fragen für Bongo und Boy. Sie erzählen mir, dass 405 Erwachsene und viele Kinder auf Mantigue leben, wahrscheinlich macht sich niemand die Mühe, sie zu zählen, weil es immer mehr werden. Die Männer sind Fischer, ihre Frauen bringen den Fisch nach Camiguin und verkaufen ihn auf dem Markt. Seit kurzem gibt es eine Schule auf der Insel, vorher mussten die Kinder morgens mit dem Boot zur nächsten Insel fahren, um eine Schule zu besuchen. Das hat natürlich niemand gemacht und deshalb sind die Kinder nicht zur Schule gegangen. Stattdessen haben sie ihren Eltern beim Fischen oder beim Verkaufen geholfen und irgendwann sind sie dann Fischer oder Fischverkäufer geworden. Jetzt können die Kinder zur Schule gehen und später vielleicht studieren, sagen die Männer.
Mögt ihr euer Leben? will ich wissen. Stille ist die Antwort. In Deutschland träumen manche Menschen davon, auf einer einsamen Insel zu leben, erkläre ich ihnen. Ich glaube, sie verstehen meine Frage nicht, trotz Übersetzung. Alle schweigen. Schließlich sagt Jun, dass sie über so etwas gar nicht nachdenken. Schließlich leben sie schon seit ihrer Geburt auf dieser Insel, ein anderes Leben kann sich niemand vorstellen.
Einer der Männer weiht mich in die philippinische Regel vom Überleben ein: Wenn du fünf Kokosnusspalmen hinter der Hütte hast, brauchst du nicht arbeiten. Du hast genug, um einige Kokosnüsse zu verkaufen und davon den nötigen Reis zu kaufen. Vielleicht ist das so etwas wie Glück. Die Kokosnüsse erinnern mich daran, dass ich Hunger habe. Was macht man auf einer einsamen Insel bei Hunger? Gibt es hier ein Restaurant?, frage ich (schließlich habe ich auch einen Kiosk gefunden). Alle lachen jetzt. Manchmal kommen zwar Touristen, aber die essen nichts, die essen lieber in ihren Resorts. Bongo sagt, dass er kochen kann. Wenn ich möchte, gibt es gleich frischen Fisch, Reis und Muschelsuppe.
Ich bin gerührt und einverstanden. Bis das Essen auf dem Tisch steht, bin ich touristisch und gehe schnorcheln. Im Wasser stelle ich fest, dass der seit kurzem verordnete Naturschutz hilft. Ich sehe kaputte Korallen, aber immer mehr Stellen, die sich schon erholt haben. Die Mehrheit der Fischer hat das Dynamitfischen aufgegeben und hält sich an die Auflage, nur in abgegrenzten Gebieten vor der Insel zu fischen. Manche Fischarten wie Rochen sind tabu. Trotzdem gibt es immer wieder Zeiten, in denen Fischer sich eine Ausnahme erlauben. Zeiten, in denen der Hunger größer ist als der Naturschutz der Behörden vom Festland. Dann holt ein Fischer schon mal 18 Rochen aus dem Meer und wenn sich der Polizist von der Nachbarinsel beschwert, bekommt er Rochen ab und die Sache ist geklärt.
Bongo winkt mir vom Strand aus zu, das Essen ist fertig: ein Pfund Reis, über offenem Feuer gegrillten Fisch mit Sojasauce und die beste Muschelsuppe der Welt. Zu Hause, im Schneeregen, würde mir das nicht schmecken, hier ist es köstlich. Zu Hause würden auch nicht zwei Männer um mich herum stehen und mir mit Palmenblättern die Fliegen weg- und kühle Luft zufächeln.
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Als ich fertig bin tauchen drei Mädchen auf, setzen sich gegenüber auf die Bank und starren mich an. Ich weiß nicht, was ich machen soll und starre zurück. Dann zeige ich auf mich und sage meinen Namen. Sie kichern verlegen, zeigen dann doch auf sich und sagen ihre Namen: Rosalin, Marites und Sara. Mir fällt ein, dass ich Zettel und Stifte in meinem Rucksack habe und hole alles heraus. Wir malen. Ich male einen Schneemann und gebe ihnen den Zettel. Sie gucken mich erstaunt an und laufen schließlich weg. Vielleicht hätte ich eine Palme malen sollen.