Interview
Der Staat ist kein Dämon
TEIL 2
Ihr werdet oft als Vorzeigeobjekt für neuen deutschen Pop benutzt. Wie kommt ihr mit dieser Rolle zurecht?
Jean: Solche Aussagen konzentrieren sich fast immer auf Verkaufszahlen. Vielleicht stimmt es sogar, dass wir mit unserem Erfolg auch einige Bands mitgezogen haben. Trotzdem finde ich den Fokus zu einfach. Und wenn man dann noch Parameter wie die Anzahl von Männern und Frauen in den Bands zugrunde legt, wird es richtig billig.
Es hört sich immer so an, als wäre eine tote deutschsprachige Szene durch uns zum Leben erweckt worden. So war es nicht. Wir sehen uns eher in der Tradition von Bands, die mit beachtlichem Erfolg schon seit Jahren dabei sind.
Mal aus der Hüfte: Wie ist euer Verhältnis zu Deutschland? Habt ihr eins?
Mark: Ich bin Halbiraner und erst im Alter von sechs Jahren nach Deutschland gekommen. Ich habe es immer als angenehm empfunden, mich vor diesem Hintergrund aus einigen Diskussionen raushalten zu können.
Hier ist viel erreicht worden, zum Beispiel, dass niemand hungert. Von diesem Punkt aus werden zwei Denkfehler in unterschiedliche Richtungen gemacht: Der eine ist, sich darauf auszuruhen und politisch alternatives Denken zu verteufeln. Wie die Linkspartei im Bundestag behandelt wird, zeigt mir, dass es eine riesige Angst vor dem Nachdenken über Systemalternativen wie den Sozialismus gibt. Auf der anderen Seite neigen hier viele Linke dazu, den Maßstab zu verlieren und hinter vielem den bösen Staat zu vermuten. Gerade in der jungen Antifa, zu der auch ich gehörte, wird pauschalisiert. Auch wenn ich das als junger Mensch selbst gedacht habe: Nicht jeder Bulle ist ein Nazi.
Wird sich dieses Links-Rechts-Lagerdenken durch die Große Koalition ändern?
Jean: Man sagt ja, Große Koalitionen stärken eher die radikalen
Ränder. Trotzdem bin ich sehr gespannt. Ich würde die Koalition nicht
von vornherein verteufeln. Ich schaue dem wohlwollend entgegen.
In letzter Zeit wird wieder häufig das Thema Identität ins Spiel gebracht. Die Frage lautet: Wer sind wir? Europäer? Deutsche? Deutsche mit Leitkultur?
Mark: Ich finde, die deutsche Identität ist längst
multikulturell. Das ist nur bei vielen Leuten noch nicht angekommen.
Das Deutsch/Nichtdeutsch-Thema spielt in der Politik gefährlicherweise
immer vor Wahlkämpfen eine Rolle. Konservative Parteien greifen das
sehr leichtfertig auf. Dazu gehört auch die Forderung nach der
Leitkultur, das Menschen, die sich nur fragmentarisch mit Politik
befassen, missverstehen können.
Der Begriff "Multikultur" ist gerade völlig aus der Mode...
Der ist völlig out. Aber je mehr Jahre ins Land ziehen, desto multikultureller wird das Land. Es wird immer Diskussionen darüber geben, wie wir uns am besten abgrenzen. Nur muss man mal von von der Vorstellung einer Leitkultur absehen. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.
Ihr habt euch selbst außerhalb des deutschen Kulturraumes umgesehen und wart auf Europatour, unter anderem in London und Amsterdam. Wie war es für euch im Ausland?
Jean: Aufregend. Das liegt ja auch in der Natur der Sache, wenn man im
fremdsprachigen Ausland spielt. Es ist eine willkommene Abwechslung von
der Hallengröße, die wir in Deutschland erreicht haben. Das waren kleine
Läden, in die 500 Leute reingepasst haben.
Mark: Wir haben unfassbar viel Geld ausgegeben. Das machen wir gerne (Jean lacht). Es müsste ein London light geben.
Habt ihr weitere Auslandspläne?
Mark: Es war eine Mischung aus Urlaub und Arbeit. Das hätten wir gerne
wieder. Gerne auch in Osteuropa, Prag oder Warschau, vielleicht auch
Frankreich. Wir wollen nicht expandieren. Normalerweise kommt man nicht ohne Unkosten ins Ausland. Wir hingegen sind bei den bisherigen
Auslandstouren wirtschaftlich bei plusminus null gelandet.
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