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Interview

Der Staat ist kein Dämon

Der Raum, in dem sich Wir sind Helden auf ihr Hamburger Konzert vorbereiten, erinnert an einen Krankenhauswartesaal: Weiße Wände, Fichtenmöbel und blassgelbes Licht. Jemand hat zur Aufheiterung ein orangefarbenes Tuch an die Wand gehängt, vor dem Bassist Mark Tavassol und Keyboarder Jean-Michel Tourette Autogrammkarten bekritzeln. Und in der nächsten Dreiviertelstunde über Angst, politische Dogmen und Teenagermädchen in der ersten Reihe reden

ZUENDER: In drei Stunden tretet ihr vor 7.000 Menschen auf. Seid ihr vor Konzerten noch aufgeregt?

Mark: Unterschiedlich stark. Ich werde normalerweise eine Stunde vorher nervös. Nie so sehr, dass ich das Gefühl habe, dass es mir schadet. Ich schlafe auch vor Konzerten nicht mehr schlecht. Es gibt eine Anspannung, die Spaß macht. Wir beide hören dann gerne Musik.

Jean: Es ist schön, wenn die Angst weg ist. Es kann ja sonst was passieren auf der Bühne, eine Gitarre kann versagen, die Technik kann streiken. Das kann aber auch ein Anlass für eine lustige Ansage außerhalb des gewohnten Rahmens sein. Wenn man das erstmal rausgekriegt hat, hat man ein sehr schönes Erwartungsgefühl vor dem Konzert.

Wir oft hört ihr denn dabei die Helden?

Jean: Vor Shows gar nicht.

Mark: Höchstens mal, wenn meine Freundin das Bekannten zeigt. Nach einem Lied sage ich dann meistens: "Lass mal was anderes hören". Mir ist das eher peinlich.

Jean: Das zweite Album ist noch zu frisch, das lasse ich erstmal noch liegen. Aber von "Die Reklamation" höre ich mir inzwischen öfter mal Stücke an. "Du erkennst mich nicht wieder" zum Beispiel. Alle drei Monate.

Mark: Nackt vor'm Spiegel.

Jean: Genau. (lachen)

Ihr wart vor Erscheinen des zweiten Albums etwas besorgt, dass "Von hier an blind" nicht an "Die Reklamation" anknüpfen könnte...

Jean: Das wurde uns angedichtet. Wir selbst hatten nie Angst. Man kann Erfolg ja nicht planen. Man kann nur Lieder schreiben und sich überlegen, wie man die am besten präsentiert. Aber ob die Platte dann ankommt, liegt nicht mehr in der Hand des Künstlers. Daher braucht man auch keine Angst zu haben.

Kann man davon ausgehen, dass eure dritte Platte ganz anders klingen wird?

Mark: "Kann" ist das richtige Wort. Wir haben auch bei "Von hier an blind" nicht nach Konzept gearbeitet. Wir haben nicht gesagt: "Lass uns mal gitarrenlastiger klingen". Das sind Attribute, die wir hinterher - zu Recht - von Journalisten bekommen haben. Es ist schön, nicht genau zu wissen, in welche Richtung wir gehen werden. Wir wurden über die Jahre unterschiedlich inspiriert. Da entsteht ein Potpourri, von dem wir keine Vorhersagen treffen können. Das ist auch für uns spannend.

Ihr habt nach wie vor ein außergewöhnlich breites Publikum. Von zehn bis sechzig ist wahrscheinlich alles bei euren Konzerten vertreten. Welche Schlüsse zieht ihr daraus?

Jean: Ich versuche, das nicht so nahe an mich heranzulassen. Dabei kommt man nur auf komische Gedanken: Wem man mehr gefallen will und wem nicht. Glücklicherweise sucht sich das Publikum die Band aus und nicht umgekehrt. Ich bin sehr zufrieden damit, dass uns auch andere Leute außer Studenten hören. Zum Anfang kam unser Publikum ja hauptsächlich aus der linksalternativen Szene, inzwischen sind auch Teenagermädchen in der ersten Reihe. Ich finde das in Ordnung, solange die Studenten nicht wegbleiben.

Ihr werdet oft als Vorzeigeobjekt für neuen deutschen Pop benutzt. Wie kommt ihr mit dieser Rolle zurecht?

Jean: Solche Aussagen konzentrieren sich fast immer auf Verkaufszahlen. Vielleicht stimmt es sogar, dass wir mit unserem Erfolg auch einige Bands mitgezogen haben. Trotzdem finde ich den Fokus zu einfach. Und wenn man dann noch Parameter wie die Anzahl von Männern und Frauen in den Bands zugrunde legt, wird es richtig billig. Es hört sich immer so an, als wäre eine tote deutschsprachige Szene durch uns zum Leben erweckt worden. So war es nicht. Wir sehen uns eher in der Tradition von Bands, die mit beachtlichem Erfolg schon seit Jahren dabei sind.

Mal aus der Hüfte: Wie ist euer Verhältnis zu Deutschland? Habt ihr eins?

Mark: Ich bin Halbiraner und erst im Alter von sechs Jahren nach Deutschland gekommen. Ich habe es immer als angenehm empfunden, mich vor diesem Hintergrund aus einigen Diskussionen raushalten zu können. Hier ist viel erreicht worden, zum Beispiel, dass niemand hungert. Von diesem Punkt aus werden zwei Denkfehler in unterschiedliche Richtungen gemacht: Der eine ist, sich darauf auszuruhen und politisch alternatives Denken zu verteufeln. Wie die Linkspartei im Bundestag behandelt wird, zeigt mir, dass es eine riesige Angst vor dem Nachdenken über Systemalternativen wie den Sozialismus gibt. Auf der anderen Seite neigen hier viele Linke dazu, den Maßstab zu verlieren und hinter vielem den bösen Staat zu vermuten. Gerade in der jungen Antifa, zu der auch ich gehörte, wird pauschalisiert. Auch wenn ich das als junger Mensch selbst gedacht habe: Nicht jeder Bulle ist ein Nazi.

Wird sich dieses Links-Rechts-Lagerdenken durch die Große Koalition ändern?

Jean: Man sagt ja, Große Koalitionen stärken eher die radikalen Ränder. Trotzdem bin ich sehr gespannt. Ich würde die Koalition nicht von vornherein verteufeln. Ich schaue dem wohlwollend entgegen.

In letzter Zeit wird wieder häufig das Thema Identität ins Spiel gebracht. Die Frage lautet: Wer sind wir? Europäer? Deutsche? Deutsche mit Leitkultur?

Mark: Ich finde, die deutsche Identität ist längst multikulturell. Das ist nur bei vielen Leuten noch nicht angekommen. Das Deutsch/Nichtdeutsch-Thema spielt in der Politik gefährlicherweise immer vor Wahlkämpfen eine Rolle. Konservative Parteien greifen das sehr leichtfertig auf. Dazu gehört auch die Forderung nach der Leitkultur, das Menschen, die sich nur fragmentarisch mit Politik befassen, missverstehen können.

Der Begriff "Multikultur" ist gerade völlig aus der Mode...

Der ist völlig out. Aber je mehr Jahre ins Land ziehen, desto multikultureller wird das Land. Es wird immer Diskussionen darüber geben, wie wir uns am besten abgrenzen. Nur muss man mal von von der Vorstellung einer Leitkultur absehen. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Ihr habt euch selbst außerhalb des deutschen Kulturraumes umgesehen und wart auf Europatour, unter anderem in London und Amsterdam. Wie war es für euch im Ausland?

Jean: Aufregend. Das liegt ja auch in der Natur der Sache, wenn man im fremdsprachigen Ausland spielt. Es ist eine willkommene Abwechslung von der Hallengröße, die wir in Deutschland erreicht haben. Das waren kleine Läden, in die 500 Leute reingepasst haben.

Mark: Wir haben unfassbar viel Geld ausgegeben. Das machen wir gerne (Jean lacht). Es müsste ein London light geben.

Habt ihr weitere Auslandspläne?

Mark: Es war eine Mischung aus Urlaub und Arbeit. Das hätten wir gerne wieder. Gerne auch in Osteuropa, Prag oder Warschau, vielleicht auch Frankreich. Wir wollen nicht expandieren. Normalerweise kommt man nicht ohne Unkosten ins Ausland. Wir hingegen sind bei den bisherigen Auslandstouren wirtschaftlich bei plusminus null gelandet.

In Deutschland macht ihr aber nicht plusminus null...

Jean: Nee, da machen wir ein leichtes Minus. (lachen)

Mark: Das Konzertgeschäft ist zum Glück relativ krisensicher. Gerade wenn man sich klarmacht, dass unsere Alben auch viel gebrannt werden. Für junge Bands ist das ein echtes Problem. Es ist dramatisch, wenn die Labels Bands rausschmeißen, weil sie deswegen nichts verkaufen. Darum finde ich es nur gerechtfertigt, dass Bands, die im Livesektor kreativ sind, da auch ein paar Mark mitverdienen.

Aber profitieren nicht auch viele unbekannte Bands durch das Musiktauschen?

Jean: Natürlich. Wir haben in Süddeutschland gespielt, bevor es eine Platte von uns gab. Viele kannten Titel wie "Ist das so", die nur in Netztauschbörsen zu kriegen waren. Wenn eine junge Band nichts verkauft, aber zwanzigtausend Mal heruntergeladen wurde, füllt die natürlich auch Konzerthallen.

Mark: Die gängigen Verträge, die jungen Bands heute angeboten werden, sind auch so angelegt, dass sie nicht 85 Prozent der Konzerteinnahmen an die Plattenfirmen abtreten müssen.

Jean: Wobei die Plattenfirmen mittlerweile anfangen, bei Merchandising und Ticketverkäufen ihr Geld reinzuholen.

Ist euer drittes Album schon in Sicht?

Mark: Wir sitzen gerade an neuen Songs. Wir haben aber beschlossen, dass wir erstmal das vierte schreiben. (kichert)

Und was passiert, wenn euch beim nächsten Album der kommerzielle Erfolg verlässt?

Jean: Dann haben wir ne Superzeit gehabt. Wirklich. Keiner von uns hat Angst davor, nicht mehr erfolgreich zu sein. Angst macht mir eher, dass uns irgendwann einfach nichts mehr einfällt. Dass wir nach vier Alben im Studio sitzen und nur noch Sachen bringen, die wir vor drei Jahren schon gemacht haben.

Mark: Es hat uns geholfen, dass wir nicht mehr die Jüngsten waren, als es losging. Wir haben vorher schon ein Leben geführt. Das menschliche Feedback, das wir alle vorher bekommen haben, ist wichtig. Jemand, der Popstar ist, seit er 16 ist, hat es da schwerer als wir. Wir würden auf den Füßen landen, sollte es irgendwann vorbei sein.

Sehnt ihr euch manchmal nach einem normalen Studentenleben, abseits der Öffentlichkeit, mit Job in der Kneipe?

Jean: So öffentlich sind wir ja nicht. Wir können alle ein normales Leben führen und wohnen noch in unsereren alten Wohnungen.

Ihr werdet nicht auf der Straße erkannt?

Mark: Selten, und wenn, dann ist das eigentlich immer nett.

Jean: Ich empfinde das auch immer noch als Kompliment an die Band. Den Keyboarder und den Gitarristen zu erkennen, zeugt davon, dass sich jemand mit der Band auseinandergesetzt hat und nicht nur das Frontgesicht kennt.

Ihr habt Fans, die euch zu Konzerten hinterher reisen - was haltet Ihr davon?

Mark: Auch das ist ein Kompliment. Wichtig ist nur, dass diese Menschen innerlich Abstand zur Sache halten. Ich will nicht, dass jemand ernsthafte Probleme bekommt, wenn wir mal aufhören. Das ist bei den Menschen, die uns hinterher reisen, aber nicht der Fall. Soweit wir sie kennen.

Ihr habt euch in diesem Jahr in vielen Bereichen politisch positioniert: Für den Schuldenerlass bei den ärmsten Staaten, gegen die Bush-Administration, gegen Studiengebühren, für die Befreiung Tibets, gegen das Hotel im Hamburger Schanzenpark. Wie stark werden politische Anstösse von eurem Publikum eigentlich wahrgenommen?

Jean: Unterschiedlich. Die Tibet-Initiative und "Ärzte ohne Grenzen", die wir auch öfter einladen, haben davon sehr profitiert.

Mark: Als wir uns gegen Studiengebühren positioniert haben, bekamen wir sofort zustimmende Mails. Etwas anderes war es bei der Initiative zur Verhinderung des Hotels im Hamburger Schanzenpark. Das war den Hamburgern offenbar nicht so wichtig.

Kann man sich zu oft politisch äußern? So, dass die Leute das irgendwann absorbieren?

Jean: Vielleicht. Natürlich engagieren wir uns viel. Nicht immer muss da gleich eine große Aktion hinter stecken, manchmal reicht schon ein Statement. Es gibt aber auch unfassbar viele Anliegen, die wir gerne unterstützen würden, aber nicht können, um uns nicht zu verzetteln.

Habt ihr eigentlich Weihnachtswünsche und Neujahrsvorsätze?

Jean: Ich würde gerne 'n schönes, neues Album machen.

Mark: Ich lass jetzt mal den Weltfrieden explizit außen vor. Den wünscht sich ja jeder. Wenn du mich als Organismus fragst, wünsche ich mir, dass ich gesund bleibe. Ich bin 31, das ist kein Alter, aber ich realisiere gerade, dass Gesundheit kein Selbstverständnis ist. Auch, dass meine Familie funktioniert, wünsche ich mir. Und natürlich ne Segelyacht (lacht).


 
 



 

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