Kennst du mich, nur weil du meinen Geschmack kennst? Bin ich jetzt nicht mehr interessant?
Die Kolumne von Selim Özdogan
Über Geschmäcker und Farben kann man nicht streiten, heißt es im Türkischen. Dass sich das fast reimt in einer Sprache in der Sommer und Trauer nur einen einzigen Buchstaben voneinander entfernt sind, ist heute nicht das Thema.
Dass man nicht nur trefflich über Geschmack streiten, sondern ihn mit Qualität verwechseln kann, wird täglich bewiesen.
Dinge, die sich in unserer Welt verkaufen lassen, Bücher, Filme, Musik, Kleidung, Sportarten, die mir nicht gefallen, gefallen mir halt nicht. Aber am wenigstens gefallen mir die Leute, die wissen, was gut ist und was nicht und aus Konsumgütern gleich Lebensanschauungen und Perspektiven basteln.
Kultur ist eine Ware wie der Käse an der Theke. Aber während sich fast niemand an deinem Käsegeschmack stört wird über die Wahl von Kulturkonsum ausgiebig diskutiert. Hauptberufliche Filmkritiker gibt es viele, Käsekritiker kaum.
Oder nehmen wir Musik. Fast niemand hat was dagegen. Leute, die sich für gewitzt halten, unterscheiden gute und schlechte Musik. Doch für den einen sind repetetive Rhythmen unerträglich, für den anderen Chartspop und für den nächsten Country oder Speedmetal.
Auch ich finde es befremdlich, wenn jemand nur Kuschelrock im Regal stehen hat, auch ich glaube, ich bin auf der falschen Party, wenn
I will survive
läuft und ich weiß, als nächstes wird es Männer regnen. Auch ich habe keine Platte von
Modern Talking
, aber ich glaube nicht, dass das alles schlechte Musik ist.
Wenn es keine Qualtität hätte, warum hören es dann so viele Leute? Weil die alle dumm sind? Das glauben Klassikhörer von mir auch, dass ich nicht in der Lage bin komplexere Strukturen zu genießen.
Es spricht irgend etwas in den Menschen an und das könnte man einfach mal akzeptieren, anstatt sofort in gut und schlecht zu unterteilen und dabei nur von sich und seinem Geschmack zu reden.
Auch mein Geschmack ist der allertollste auf der Welt. Für mich. Heißt nicht, dass das für jemand anderen funktionieren muss.
Doch egal wo du hinschaust, es findet sich allerorten ein Geschmacksdiktator, der dir erzählen will, was gut ist und was nicht, was cool ist und was nicht, was man hören, lesen, tragen, kaufen, kauen kann und was nicht.
Es scheint mir ein weitverbreiteter Irrglaube, dass coole Leute coole Musik hören. Unter Johnny-Cash-Hörern gibt es sicherlich genauso viele Menschen, die ich schwer erträglich finde, wie unter Pur-Hörern.
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Ich glaube zwar, dass die Musik, die du hörst, etwas über dich verrät, aber nicht ob du ein guter Partner, Freund, Vater, Verkäufer, Liebhaber oder wasauchimmer bist. Sie sagt möglicherweise etwas über deine Haltung gegenüber der Welt aus, aber nichts über deinen Charakter. Oder gar etwas über deinen Wert als Mensch. Denn der müßte ja immer gleich bleiben.
Wenn man zufällig den einen Geschmack hat, dann ist offensichtlich die Versuchung groß, ihn künstlich aufzuwerten und die anderen ab. Und das fällt mit steigendem Bildungsgrad leichter und man glaubt einem eloquenten Menschen auch eher, als einem der kaum einen Satz geradeaus sprechen kann. Und dann möchte dir dauernd irgend so ein Schlaumeier seinen Geschmack als Qualität aufzwingen.
Man braucht alle Arten von Menschen, um eine Welt zu machen, sagt Keri Hulme. Das leuchtet mir ein. Aber ich frage mich immer wieder: Warum gibt es so viele von der Art, die glauben, die Welt wäre besser, wenn nur alle sich auf ihren Geschmack einigen könnten?