Meistens wissen die anderen, was besser für einen ist: Der Arzt, der Freund, der Vater. Sie alle sind Experten meines Lebens.
Von Selim Özdogan
Mein Hausarzt fragte bei der Routineuntersuchung, ob ich mich regelmäßig bewege. - Ja, sagte ich.
- Was machen Sie denn?
- Yoga.
- Das würde ich nicht gelten lassen, das ist ja eine sehr passive Form.
Klar hätte ich ihm was vom Ashtanaga-Vinyasa-System erzählen können und wie ich vier Tage die Woche schwitze, dass meine Fingerkuppen schon schrumpelig werden. Aber wie sagt Iggy Pop? In normal life I bottle things up and smile.
Ein Freund meint, dass ich vor lauter Yoga schon ganz engstirnig bin und eines nicht fernen Tages an Überanstrengung sterben werde.
Mein Vater erzählt mir immer wieder, ich solle nicht so stur sein und einsehen, dass die Welt nicht so funktioniert, wie ich mir das in meinem Kinderglauben wünsche. Ich solle endlich mal anfangen, Kontakte zu Kulturmenschen zu knüpfen, nur um der Kontakte willen. Die nämlich werden mich eines Tages weiterbringen. Und nicht meine Verweigerungshaltung.
Meine Mutter weiß, dass ich zu wenig esse und mich zuviel rumtreibe.
Etwas größere Portionen, deutlich mehr Obst und mehr Zeit am Schreibtisch würden meine Produktivität steigern.
Eine Freundin meint, dass da sehr viel angestaute Wut in mir sei, so erfolgreich unterdrückt, dass es mir gar nicht mehr möglich ist, sie wahrzunehmen. Die Geschichte mit dem Arzt sei ein gutes Beispiel für meine unterdrückten Emotionen und die Unfähigkeit, den Mund aufzukriegen. Und wenn ich nicht anfinge, diese Wut rauszulassen, dann würde sich das eines Tages rächen.
Einer meint, meine Trägheit würde in erster Linie vom Schokoladenkonsum herrühren, ein anderer weiß, warum ich mein Manuskript nicht verkauft kriege, ohne eine Zeile gelesen zu haben. Wieder ein anderer glaubt, dass ich meine Schüchternheit öfter überwinden müsste und der nächste prophezeit, dass ich es nicht weit bringen werde, wenn ich nicht langsam mal erwachsen werde. Ein weiterer weiß, dass ich mal Vertrauen und Offenheit lernen müsste, ich würde ja immer alles ablehnen, was andere sagen.
Dass zumindest er Recht haben könnte, sieht man hier. Aber darum geht es nicht.
Ich habe nie bestritten, dass ich Charakterdefekte haben, möglicherweise schwerwiegende, aber begreife nicht genau, wann all diese Leute zu Experten meines Lebens geworden sind. Und zu Experten des Lebens überhaupt, die genau wissen, woher der Hase weht.
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Ich hingegen habe ja keine Ahnung, von nichts. Dennoch bin ich all diesen Leuten verbunden, weil sie sich auf die eine oder andere Art um mich kümnmern. Aber es wundert mich, dass die meisten anscheinend nicht die geringste Ahnung haben, wie gut es mir geht.