Eines Tages ging Henry James auf die Bühne – er wollte sich feiern lassen. Doch statt Blumen flogen ihm Pfiffe entgegen. Mir ging das auch oft so. Dank David Lodges’ Buch
Author, Author
habe ich daraus eine Philosophie gemacht
Von Patrick Kennedy
Ein guter Freund von mir kam eines Tages zu Besuch und fragte mich, warum ich haufenweise CDs, aber kaum Bücher in den Regalen ansammelte. Er fand es komisch, dass ich immer viele Bücher las, aber nur Platten sammelte. Heute ist mir klar, dass ich die meisten Bücher damals einfach konsumiert und wieder vergessen habe. Auch wenn ich sie gerne las, dienten mir Bücher außerhalb des Studiums zur Unterhaltung, zum Abschalten vom Alltäglichen. Es gab für mich keinen Grund, Bücher zu kaufen und zu behalten.
Meine ignorante Einstellung zur Nachhaltigkeit von guten Büchern änderte sich in einer Phase der Orientierungslosigkeit nach dem Studium. Denn diese konnte ich tatsächlich durch ein Buch überwinden. Oh nein, das war nicht die Bibel, und auch keine neopsychologische Anleitung zum Glück, die mich aus dem Nebel der Niedergeschlagenheit zurück in die Realtität brachte. Es war ein Roman von David Lodge.
Author, Author ist eine halbfiktive Biographie über den englischen Schriftsteller Henry James. Sie beginnt und endet auf dem Sterbebett des Künstlers, der Hauptteil des Romans erzählt von den mittleren Jahren des Autors von 1880 bis 1895. In diesen Jahren befindet sich der bis dahin recht erfolgreiche Schriftsteller in der Krise.
Seine Bücher erzielen nach international beachteten Erfolgen nur noch geringen Umsatz und seine Neuerscheinungen werden von der Londoner Presse harsch verrissen. James’ bester Freund George du Maurier schlägt ihm eines Tages eine Idee für einen Roman vor, die er schmunzelnd ignoriert. Du Maurier schreibt den Roman selbst und produziert 1894 prompt den ersten
Megabestseller der Literaturgeschichte
.
Henry James reagiert auf den aufkeimenden Zweifel an seinen eigenen Fähigkeiten offensiv und mit neuem Elan: Er verlegt sich auf das Schreiben von Theaterstücken. Nach dem mäßigen Erfolg seiner ersten Aufführung
The American
, einer Adaption eines seiner Romane, hängt sein weiteres Schicksal vom Triumph oder Scheitern des zweiten Stücks Guy Domville ab. Entweder, Henry James kann das Ruder herumreißen und der öffentlichen Welt neue Anerkennung abtrotzen - oder seine Karriere ist am Ende. Der Tag, an dem sich alles entscheiden soll, ist der fünfte Januar 1895: Die Premiere von
Guy Domville
.
Henry James kommt erst mit dem fallenden Vorhang ins Theater, denn sein Lampenfieber war zuvor so hoch, dass er es vorzogen hat, die Erstaufführung von Oscar Wildes
The Importance of Being Ernest
in einem anderen Haus zu besuchen. Jetzt weiß er noch nicht, wie seine Aufführung verlaufen ist - die Stimmung scheint erhitzt, er hört das Publikum immer wieder "Author!", "Author!" rufen. James tritt vor den Vorhang und verneigt sich tief vor seinem Publikum. Doch statt tosendem Applaus erwarten ihn Pfiffe von der Galerie. Henry James hat die Situation verkannt: Sein eigener Regisseur hat ihn aus Rachegelüsten auf die Bühne gedrängt - die Premiere ist gescheitert. Sein wichtigster Tag endet in einer grandiosen Blamage.
Doch das ist nicht das Ende. Durch den vernichtenden Untergang seines Stücks fällt eine große Last von ihm. Sein zuvor ehrgeiziges und zweiflerisches Wesen findet Ruhe und Frieden in einem Haus am Meer, fernab von London. Er wendet sich wieder dem Schreiben zu, doch es gelingt ihm nie wieder, einen Roman zu vollenden.
David Lodge erzählt von diesen schwierigen Jahren im Leben von Henry James aus der Perspektive eines bedachten und respektvollen Beobachters. Dank seines pointierten Humors könnte man manchmal meinen, Henry James wäre auferstanden und hätte den Roman selbst geschrieben.
Author, Author
ist ein ungeschminkter und doch freundlicher Blick auf einen zugleich hoch- und kleinmütigen Mann, der erst nach seinem Tod so berühmt wurde, wie er es sich zu Lebzeiten immer erhofft hatte.
Die Stärke von David Lodges liegt in seiner Bewunderung und seinem Verständnis für den komplizierten Henry James (der immer in höflicher Distanz zu anderen Menschen lebte: Er war sein ganzes Leben lang Junggeselle und hatte keinerlei sexuelle Erfahrungen). David Lodge hat ein Buch geschrieben, das für mich damals zur rechten Zeit kam, und einen erfrischenden Unterschied machte: Es war mehr als nur Abstraktion oder Ablenkung. Ich begann, an Integrität zu glauben, die man sich trotz aller Widrigkeiten bewahren kann. Und das mit stilvoller Leichtigkeit und Substanz.