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Harry, mein Harry

Harry Potter ist das meistgehypte Buch des neuen Jahrhunderts. In meiner Seele hat es trotzdem eine Lücke gefüllt.

"Don’t believe the Hype" stand in Großbuchstaben auf meinem Federmäppchen. Ungefähr 8 Jahre lang. Nach dem Abi hatte das Mäppchen ausgedient, aber Flavor Flavs Hookline hatte sich in meine Hirnrinde eingebrannt. Ich hatte eine mehr als latente Aversion gegen Charts, Bestsellerlisten und geschmackliche Empfehlungen von zu vielen Menschen. Damit habe ich mich vor viel Mist geschützt und lange geglaubt, mir würde nichts entgehen. Bis ich kapierte, dass ich mir damit vieles vorenthalte, das so ein Schicksal nicht verdient hat. Was ich wiederum nicht verdient habe. Gesteckt hat mir das ein Buch: Harry Potter und der Stein der Weisen.

Die ersten Bände von Harry Potter wollte ich umso weniger lesen, je mehr Menschen mir erzählten, wie lesenswert, emotional fesselnd und suchterregend sie seien. Ich wollte ausspucken vor Schaufenstern mit diesen Büchern in der Auslage  – und vor allen Lesern auch. Ich dachte, "Wenn mir jemand jemals diese Bücher schenkt, dann schmeiße ich sie in den Müll." Damit die Ausbreitung dieser Seuche eingedämmt wird.

Dann musste ich nicht spucken, sondern schlucken. Als mir nämlich während eines gemeinsamen Urlaubs ein sehr geschätzter Freund beweisen wollte, dass er vier Harry Potter-Bände in einem Rutsch durchlesen kann. Dazwischen nur Essen, Trinken, Schlafen. Ich nahm ihn nicht ernst. Spätestens nach dem ersten Band würde er aufgeben und sich nach Konsalik oder Simmel gerade zu verzehren! Dachte ich. Er jedoch nahm all das sehr ernst und legte los. Weil wir Kopf an Kopf in unseren Kojen den Segelurlaub verbrachten, bekam ich alles hautnah mit. Seine stille Begeisterung ab der ersten Seite. Die Petroleumlampe, die frühestens um drei Uhr morgens erlosch. Und immer wieder kleine Vorleseminuten, die ich zuerst nutzen wollte, mich in meinem Urteil zu bestätigen. Die jedoch wie ein Judoka meine Angriffsenergie nutzten und mich in immer heftigeren Würfen auf die Matte schickten. "Tu's nicht!" schoss es mir wieder und wieder durch den Kopf. Bis er dann den ersten Band zu Ende gelesen hatte und nicht aufhörte. Und was war mit mir?

Die räumliche Enge, die so ein Segelurlaub mit sich bringt, setzte mich der Anziehungskraft dieses ersten Bandes direkt aus. Ich fühlte mich wie eine Büroklammer, die auf einen Magneten geworfen wird. Da gab es keinen Ausweg. Als ich schließlich zugriff, half mir die Ausrede: "Es ist doch schade, wenn sich jeder ernst nimmt!" Ich nahm die Reaktionen der anderen am nächsten Tag augenzwinkernd. Meine eigenen konnte ich aber nicht so einfach abtun. Die Erzählung erfüllte mich von der ersten Seite an mit Genugtuung. Wie ein Buch, auf das man ein Leben lang gewartet hat. Wie der erste Schluck Erdbeer-Kiwi-Saft meines Lebens, der das Bedürfnis auslöste, nie wieder etwas anderes trinken zu wollen. Dass mir genau diese Geschichte bisher gefehlt hatte, konnte ich vorher nicht ahnen. Jetzt konnte ich mich nur noch der Befriedigung hingeben. Und das tat ich. Zuerst verhalten, dann selbstbewusst, schließlich offensiv. Ich wurde Teil des Hype.

Mittlerweile ist das alles vier Jahre her. Ich habe die meisten Bände fünfmal gelesen und mindestens genauso oft gehört. Die Anzahl der Filmwiederholungen in meinem DVD-Player verschweige ich. Ich kann noch immer schlecht beschreiben, was es genau ist, das mir ein Leben lang gefehlt hat. Aber dieses Buch hat eine Lücke in mir gefüllt, die größer nicht hätte sein können. Hätte ich noch ein Federmäppchen, würde ich wahrscheinlich wieder Public Enemy darauf zitieren. Der alten Zeiten wegen. Daneben wäre eine blitzförmige Narbe gezeichnet. Für die Selbstironie.

Auch schön:

Der Ex am offenen Fenster - Carolin Ströbele über "Hotel New Hampshire"

Prosaparty - Das Herzbuch ist zu Ende. Die Momentdepression setzt ein

Nach Hause - Zuender. Das Netzmagazin


 
 



 

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