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Das Mädchen mit der Friedenstaube

Ein Hippiemädchen kann dir manchmal helfen, aus deiner gewohnten Umgebung auszubrechen. Besonders, wenn sie Jack Kerouac zum Komplizen hat.

Neben meinem Gymnasium stand ein anderes. Wir waren die Coolen – klar. Und drüben waren die Hippies. Mit Blumen im Haar, Batik-Hosen, Römerlatschen und gestrickten Taschen. Ich mied den Kontakt mit diesen Leuten, nur ab und zu ging ich zum kiffen auf den nachbarschaftlichen Schulhof. Hippies waren mir suspekt. Ich trug Baggypants, malte Tags an Wände und versuchte zu rappen. Es gab keine Berührungspunkte mit den Menschen und ihren Dreadlocks.

Und dann lernte ich sie kennen. Sie war ihre Königin. Berüchtigt, begehrt, wild, frei, mit Friedenstaube auf der Gitarre und zwei Jahre älter als ich. Sie wohnte in einer WG, trank lieblichen Wein aus Flaschen und saß dabei am liebsten irgendwo am Fluss, der unsere Stadt zu einer Grenzstadt machte. Frankfurt Oder – viel zu klein für Freiheit, viel zu grau für einen Regenbogen. Wir küssten uns immer öfter und irgendwann war ich der Freund des Hippiemädchens. In meinem Zimmer hing bald ein großes Ying-Yang Poster, ich zündete Nag Champa Stäbchen an und sammelte Steine.

Ich las Charles Bukowski, weil es alle taten und knöpfte mir Jim Morrison vor. Sie sagte, dass das alles toll und wichtig sei. Bukowski brachte mich zum lachen, Morrison zum verzweifeln. Ich wollte nicht in diese, vielleicht ihre Welt eintauchen, die so gar nicht in unsere Zeit passte. Ich hatte keine Lust auf die sprichwörtliche rosarote John-Lennon-Brille, in der sich je nach Lichteinfall ein Hanfblatt spiegelte.

Ich rasierte mir die Haare ab, trug olivfarbende T-Shirts und ging so zu den gruppendynamischen Schellenringtänzen ihrer Freunde. Es war mir ein Spaß geworden (der bald zum Hobby wuchs), mit ihnen über die Vorteile der sozialen Marktwirtschaft gegenüber dem Sozialismus oder – je später der Abend und zahlreicher die Joints – vielleicht sogar der Anarchie zu lamentieren. Sie nannten das Philosophie, ich nannte es Quatsch.

Nein, die Hippies sollten mich nicht bekommen. Obgleich ich fast alles andere tat, was meine Freundin von mir wollte. Nur irgendwie musste sie mich noch auf der geistigen Ebene packen – sie wollte mich zu einem Blumenkind assimilieren. Und so gab sie mir irgendwann Jack Kerouacs Buch „Unterwegs“.

Kerouac war ein Beatnik. Also gar nicht Hippie. Schwarz gekleidet, auf dem Motorrad unterwegs, Kippe im Mund und Jazz im Ohr. Lange vor den Woodstock-Illusionisten. Aber ein Träumer, durch und durch. Ein Denker in Amerika und in einer Phase – das Buch erschien 1957 – in der die Beat-Generation ihre Eltern das Fürchten lehrte. Jugendliche Teufel, Rebellen in der Zeit des Schwarz-Weiß Fernsehens.

Die beiden Antihelden des Buches, Sal Paradise und Dean Moriarty, machen sich einfach auf den Weg. Sie sind „Unterwegs“. Quer durch die USA, durch Mexiko hindurch. Zu Fuß, per Anhalter oder in Bussen. Manchmal klauen sie ein Auto. „Was treibt die beiden an?“, fragte ich mich die ganze Zeit.

Die Antwort ist ziemlich banal: Es geht um Jazz, Frauen und harte Drogen. Aber vor allem geht es um Ausbruch. Mauern sprengen, sich voll und ganz dem Mainstream entziehen, raus aus der Schwarz-Weißen Masse. Damit hatte sie mich. Nichts engte mich so ein, wie das, was mich umgab. Frankfurt, die Schule, Cliquen und Szenen, Gerüchte, Tratsch und meine eigene kleine Welt, die es permanent zu beschützen galt, um ja nicht die Fassade fallen zu lassen.

Ich wollte weg, ich musste raus. Dieses Buch hat mir das erzählt.

Wikipedia sagt , dass „Unterwegs“ Mark Twains Schema von „Huckleberry Finn und Tom Sawyer“ folgt. Wenn das so ist, dann verstehe ich, warum ich beides so mochte. War in mir ein Rebell verborgen? Ein Outlaw? Und das schon von Kindestagen an? Nein, ich bin nur auf den Zug aufgesprungen, auf den die Hippies von der Nachbarschule schon lange mitfuhren. Schlimmer noch, ich bin ein Trittbrettfahrer. Ein Hippiemädchen musste mir den Weg zeigen und der war eigentlich so klein, dass er zwischen zwei zerknitterte Buchdeckel passte.

Dieser Weg, dieser Zug, ist am Ende auch nur das, was jeder so erlebt – oder so ähnlich. Nur dass es für den einen Philosophie und für den anderen Quatsch ist.

Für mich wurde das essentiell, viel zu gern verdrücke ich mich noch heute, wenn mir alles über den Kopf wächst. Nur: Was ist noch dran am Ausbrechen? Was bleibt von der Flucht, wenn dabei nichts rauskommt, außer dem Punkt, an dem man wieder weg muss?

Die Beziehung hat zumindest nicht überlebt. Trotz rosaroter Brille.

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