Auch Spinner sollten ihre Meinung sagen dürfen. Mein Plädoyer für... Diese Woche für Nazidemos.
Von Sebastian Dalkowski
Nazi und Antifaschist könnten sich einen Terminkalender teilen, wenn sie sich nicht so hassen würden. Ihre Veranstaltungen finden ja doch immer zur selben Zeit am selben Ort statt. Während der Nazi mit ulkiger Frisur seine arische Überlegenheit auf der NPD-Demo bebrüllstätigt, kontert der Antifaschist gegen eben diese Veranstaltung. Häufig mit Erfolg. Jahr für Jahr versuchten die Teilnehmer einer unter Auflagen genehmigten Nazi-Demo in Leipzig am 1. Mai vom Hauptbahnhof aus loszuziehen – und jedes Jahr stoppte die
Gegendemo
dieses Vorhaben nach ein paar Metern.
Christian Worch
, der Veranstalter der Nazi-Demo, fand das wohl ermüdend, zumal ihm die Teilnehmer ausgingen, und sagte die Demo für die kommenden Jahre ab. Am dem 1. Mai 2007 bleiben Nazi und Antifaschist zu Hause.
Ein Erfolg? Nicht wirklich. In diesem Land sollen auch Menschen ungestört ihre Meinung äußern und demonstrieren dürfen, die vorm Schlafengehen gerne Zeilen lesen wie diese: „Das Dasein treibt den Juden zur Lüge, und zwar zur immerwährenden Lüge, wie es den Nordländer zur warmen Kleidung zwingt“ (
Mein Kampf
). Er muss dabei Parolen brüllen dürfen, deren Länge seinen geistigen Fähigkeiten gerecht wird („Heil Hitler!“), und das Bettlaken schwenken, das er mit einem Hakenkreuz bemalt hat. Bereits der Staat macht ihm da Schwierigkeiten, nicht nur, weil Nazi-Symbole
verboten
sind. Zwar ist das Demonstrationsrecht
im Artikel 8 des Grundgesetzes verankert, doch verwirkt laut Artikel 18 dieses Recht, wer es „zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische
Grundordnung
nutzt.
Aber muss ein Staat diesen Kampf nicht bis zu einem gewissen Grad ertragen können? Der berühmte US-Historiker
Arthur M. Schlesinger Junior
veröffentlichte 1949 einen Artikel mit der Überschrift „The Right to Loathsome Ideas“. Darin setzt er sich unter anderem mit der Frage auseinander, wie die USA mit den Kommunisten im eigenen Land umgehen sollen, wenn diese demokratiefeindliche Ideale vertreten. Obwohl Herr Schlesinger – wie so viele Liberale seiner Zeit – recht konservativ dachte, stellte er doch fest: Solange von einem Kommunisten nicht zu befürchten sei, dass er zu illegalen Handlungen aufrufe, solle er sagen dürfen, was er wolle. Er schob dann den klugen Satz nach: „Wenn demokratische Ideen so gut sind, wie wir denken, dann ist das der Test, der alle Zweifel ausräumen wird.“
Für die Nazi-Demo heißt das: einfach ziehen lassen, samt den Einzeiler und Symbolen aus dem tausendjährigen Reich. Solange die Teilnehmer nicht die Innenstadt auseinandernehmen und die Blumenbeete zertreten. Solange sie nicht gleich am 9. November zur Münchener Feldherrnhalle marschieren und eine Parallelregierung ausrufen. Jeder hat das Recht, seine Meinung kund zu tun, so lange er dabei friedlich bleibt. Glaubt wirklich jemand, dass ein Haufen Hobby-Arier gleich die Staatsgewalt an sich reißt, wenn sie mal ein paar Meter durch die Innenstadt zieht und rassistische und staatsfeindliche Maßnahmen fordert? Selbst Hitler hat es ja erst beim zweiten Anlauf geschafft und dann auch nur mit der naiven Mithilfe einer
konservativen Elite
. Sollte die Demo tatsächlich ein paar ungefestigte Geister begeistern können, muss nicht die Demo verboten werden, sondern die Gesellschaft, die einen Menschen zu dieser geistigen Selbstaufgabe treibt.
Jetzt kommt Noam Chomsky ins Spiel, Professor für Linguistik und linker Chef-Kritiker der US-Politik. 1979 unterschrieb er eine Petition, die sich für die akademische Unabhängigkeit des französischen Literaturprofessors Robert Faurisson einsetzte und ihn unter Linken ausgesprochen unbeliebt machte. Faurisson hatte nämlich die Existenz der Gaskammern im Dritten Reich geleugnet und bekam daraufhin nicht nur Schwierigkeiten weiterzuforschen, sondern musste auch vor Gericht. Chomsky erklärte seine Bereitschaft, das Dokument zu unterschreiben in dem Essay
"Some Elementary Comments on The Rights of Freedom of Expression"
. Darin schreibt er, er habe sich nur für das Recht Faurissons eingesetzt, seine Meinung frei zu äußern, was nicht bedeute, dass er diese Meinung billigte. Chomsky erklärte, dass gerade die Meinungen aus Prinzip geschützt werden müssten, die ein Großteil der Menschen ablehnt. Damit wiederholte er nur, was der Philosoph Voltaire bereits im 18. Jahrhundert gesagt hatte: „Ich teile Ihre Meinung nicht, ich werde aber bis zu meinem letzten Atemzug dafür kämpfen, dass Sie Ihre Meinung frei äußern dürfen.“
Kein Staat und auch kein Antifaschist darf darüber entscheiden, welche Meinung geäußert werden darf und welche nicht – auch dann nicht, wenn es um deren öffentliche Verkündung geht wie bei einer Demonstration. Sonst schafft er das ab, was er verteidigen will: die freie Gesellschaft. Natürlich diskriminieren Nazis andere Menschen und hassen die Demokratie, und natürlich wollen sie gleichzeitig von einem Grundrecht profitieren, das sie anderen Gruppen nicht zugestehen. Doch nur, weil sie sich nicht an die Spielregeln halten, heißt das nicht, dass andere es auch nicht tun müssen. Solange die Bösen keine bösen Dinge tun, sondern nur aussprechen, muss sich doch niemand in die Hosen machen. Klar, die Welt ist schöner ohne Nazis, aber so viele Teppiche gibt es gar nicht, dass man alles unter sie kehren könnte.
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Nazi-Demos können sogar sinnvoll sein. So eine Rechts-Bewegung lebt auch davon, dass kein Außenstehender weiß, wie viele eigentlich dazugehören. Schließlich treffen sich Nazis selten zum Parteitag in der Kölnarena. Die Teilnehmerzahl einer Demo aber gibt Anhaltspunkte. So kann der Staat seine Probleme im Auge behalten wie eine Mutter ihr Kind im Laufstall.
Nicht zu vergessen: So eine Demo unterhält. Wieso nicht sonntags einfach mal mit der Familie Nazis gucken anstatt Löwen und Tiger im Zoo? Wer entdeckt die meisten Rechtschreibfehler auf den Spruchbannern? Welcher Nazi hat die längsten Haare? Wer hat die größte Ähnlichkeit mit seinem Pitbull? Wen hält Opa für fronttauglich? Die mitgebrachten Klappstühle und Kühlboxen erhöhen den Komfort, Ferngläser verbessern die Sicht. Wer weiß, vielleicht würde Herr Worch nie wieder eine Demo anmelden.