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Liebeserklärungen

Das traurigste Mixtape der Welt

Kassetten sind unpraktisch. Aber kein Liebesbrief sagt mehr aus, als eine mühsam komponierte Kassette mit handgemaltem Cover

Ich bin neulich im Internet auf eine lustige Seite gestoßen: muxtape.com . Das Prinzip ist einfach. User stellen ein MP3-"Mixtape" aus bis zu 12 Tracks zusammen, die anderen Mitglieder können es anhören. Und wie es sich für ein Mixtape gehört, handelt es sich nicht um Dance-Mixes, sondern Songkollektionen mit verschiedensten Themen und Mottos. Nette Spielerei, und doch fragte ich mich sofort: Weiß eigentlich noch jemand, was eine Kassette ist – beziehungsweise war ?

Keine Angst, das wird jetzt kein Nostalgie-Gelaber, aber wenn von einem Mixtape die Rede ist, neige ich nach wie vor dazu, das Ganze wörtlich zu nehmen. Hier ist ein Tape, also eine Kassette, und hier sind die Lieder, die da drauf kommen.

Natürlich ist das alles saumäßig unpraktisch. Es klingt zudem mies, weil das Rauschen auch mit Dolby nicht wegzubekommen ist, und wenn man das Ding zu oft gehört hat, sind die Höhen weg, es gibt Dropouts und Schlierengeräusche, irgendwann reißt dann schließlich das Band vollends, und wenn man es mit Klebeband oder Uhu flickt, ist es erst recht kein Hörvergnügen mehr.

Dennoch habe ich bis heute nicht mit dieser Tradition gebrochen. Zu meiner Stereoanlage gehört noch immer ein Kassettendeck, und wenn ich jemand mit Musik beschenke, passiert das unverändert in Form eines Tapes, auch wenn ich zunehmend direkt einen auf dem Flohmarkt gekauften Walkman dazuschenken muss, weil die Person sonst nie erfahren würde, was sich auf dem Tape befindet. Selbst Autoradios mit Kassettenteil sind weitestgehend ausgestorben.

Schon CD-Mixes ernteten nur meinen Argwohn, bei MP3s steige ich nun allerdings vollends aus, denn da fehlt mir ein äußerst wichtiger Bestandteil, nämlich das Cover. Meine waren stets selbstgeklebt oder selbstgemalt, wobei letzteres selten ästhetischen Minimalanforderungen genügte, denn ich bin ein miserabler Maler. Wenn auf Empfängerseite viel Wohlwollen im Spiel war, konnte es höchstens als naive Kunst durchgehen, meistens gab es aber als einzigen Kommentar ein leidlich vernichtendes "Süß!". Na ja.

Einmal übersandte ich der Dame meines Herzens ein Mixtape mit dem Titel "Nah am Wasser". Unsere Liaison war von allerlei Schwierigkeiten geprägt, sagen wir ruhig, es war alles ganz schön zum Heulen, weswegen sich auf der Kassette ausschließlich unfassbar traurige Songs befanden, in deren Texten am laufenden Band die Worte "cry", "tear" oder "weep" auftauchten. Die Coverillustration zeigte uns beide auf einem Felsen stehend und ins Meer heulend. Mich erkannte man nur an den drei Streifen auf den Schuhen, sie nur an ihrem Stern-Tattoo. Der Rest war Gekrakel, hoffentlich hat das Tape nie jemand außer ihr gesehen. Mit dem Artwork konnte ich jedenfalls nie punkten, insofern hing der Erfolg also fast ausschließlich von der Songauswahl ab.

Ihr merkt schon, ich rede inzwischen nur noch von den Mixtapes, die ein Junge für ein Mädchen macht. Natürlich habe ich unzählige Mixtapes für mich selbst gemacht, es gab nahezu ein Mixtape für jede meiner Lebenslagen, auch für meine Kumpel habe ich viele zusammen gestellt, wobei das Ganze unter Jungs eher so ein Nerd-Ding unter der Vorgabe ist, wer dem anderen mehr Songs unterjubeln kann, die er noch nicht kennt.

Doch die Königin unter den Mixkassetten ist jene, die für eine Dame gemacht wird. Die erste tackerte ich mit etwa 13 Jahren zusammen. Ich hatte zu dieser Zeit erst drei oder vier Platten, also musste ich die Songs von den Tapes, die ich vom Radio aufgenommen hatte, auf das andere Tape übertragen. Ich verband dazu meinen und den Kassettenrekorder meines Bruders mit einem sogenannten Überspielkabel. Das war mühsam und klang am Ende beschissen. Aber der gute Wille zählte, und das beschenkte Mädchen fand die Aktion auch richtig heiß.

Derart ermutigt mutierte ich in den folgenden Jahren zum Mixtape-Maniac. Ich fing schon bald an, mir ein Song-Archiv aufzubauen, in dem die Stücke nach Stimmung, Anlass, Textinhalt und vielen weiteren Kategorien katalogisiert waren, so dass ich stets das Optimale rausholen konnte.

Grundsätzlich gilt: Mixtapes sollen viel über ihren Macher aussagen, dabei aber gleichzeitig Interesse an und Respekt vor der beschenkten Person signalisieren. Insofern galt es zum Beispiel festzulegen, welche Songs sich für einen perfekten Einstieg eigneten und welche eher für einen bedeutungsschwangeren Schluss. Auch wichtig: Verstand man, was der Typ da sang? Ist der Songtitel auch ja nicht irreführend?

Wobei das mit den Titeln und Texten, so gesehen also der kompletten Beschriftung des Innencovers, sich in den meisten Fällen als komplett überflüssig herausstellte, denn wenn es von Mädchenseite mal eine weiterreichende Rückmeldung als "Danke" gab, dann lautete diese stets so ähnlich wie "Das dritte Lied fand ich am schönsten".

Wahrscheinlich hätte ich mir auch den ganzen anderen Frickelquatsch sparen können. Zum Beispiel das Aus-Timen. Mittels kompliziertem Rumgerechne versuchte ich stets, am Ende jeder Seite möglichst wenig unbespieltes Band übrig zu lassen. Im Idealfall begann direkt nach dem letzten Ton das Leerband, sechs Sekunden später machte es dann "klack" und das Tape war zu Ende. Den letzten Song auszufaden ging nicht, weil man damit dem Stück weh tat, außerdem hatte ich eh kein Mischpult, das mir dies technisch ermöglichte. Erschwerend kam hierbei hinzu, dass eine Seite einer C90-Kassette je nach Hersteller unterschiedlich lang war. Exakt 45 Minuten waren es nie, weswegen es unerlässlich war, das Band erst mal leer durchlaufen zu lassen und dabei die Zeit mitzustoppen. Ich war zweifelsohne sehr glücklich, als irgendwann Tapedecks mit Echtzeitzählwerk auf den Markt kamen.

Ebenfalls nicht undelikat: die Bedienung der Pausentaste. Ich hatte mir im Laufe der Zeit diesbezüglich eine große Fingerfertigkeit erworben. Der Zweck der Übung war, das Klickgeräusch, das die Aktivierung dieser Taste zu Beginn des Aufnahmevorgangs verursachte, weitestgehend unhörbar zu machen. Ich kann auch nicht genau erklären, wie ich das immer geschafft habe, man muss das wirklich auch jahrelang trainieren. Mittlerweile herrscht zwischen der Pausentaste meines Kassettenteils und mir fast eine zärtliche Liebesbeziehung.

Weitere selbstauferlegte Regeln beim Mixtapen waren und sind: Nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen. Das erklärte Liebeslied des Mädchens als ersten Track zu wählen, würde wohl in den meisten Fällen bedeuten, dass sie die Kassette nie über diesen Track hinaus hören wird. Also ab damit ans Ende, aber auch nur, wenn er zum vorletzten Stück passt.

Außerdem: Niemals zwei Songs von einem Künstler, das könnte ja einfallslos wirken. Und: Nicht zu viele total unbekannte Stücke, das könnte die Hörerin überfordern, aber auch nicht zu viele bekannte, weil das sonst am Auskenner- und Heldenstatus kratzen könnte.

Weitaus schlimmer als das Ignorieren dieser technischen und theoretischen Mühen fand ich jedoch, wenn die Empfängerin in keinster Weise die narrative Struktur und die ausgefeilte Dramaturgie meiner Arbeit erkannte. Kassettenspieler haben gegenüber CD- und MP3-Playern zumindest hinsichtlich eines Mixtapes einen großen Vorteil: Man kann nicht skippen. Vorspulen ja, aber das ist mühsam, insofern werden Mixkassetten in der Regel an einem Stück gehört, und genau dieser Umstand ist der Schlüssel für einen nicht zufälligen Aufbau. Ein Mixtape zu machen ist, wie Nick Hornby in seinem Roman "High Fidelity" ganz richtig feststellte, wie einen Brief zu schreiben. Man löscht Dinge, man denkt noch mal darüber nach, man fängt von vorne an, alles, um am Ende genau das Richtige gesagt zu haben.

Und weil das so ist, war ich einmal auch sehr beleidigt. Ich fuhr bei einem Mädchen, dem ich eine Kassette geschenkt hatte, im Auto mit. Sie machte das Radio an und fingerte in der Ablage nach einem Tape. Zu meiner großen Freude zog sie meins raus, ich erkannte es sofort wieder, weil ich nicht nur das Cover, sondern auch die Kassette selbst künstlerisch gestaltete. Doch was musste ich hören? Es war nicht mehr meine Musik drauf, die blöde Kuh hatte sie doch tatsächlich mit irgendeinem anderen Quatsch überspielt. Und es kümmerte sie noch nicht mal, dass ich das jetzt mitbekam. Dabei hätte ich doch wie immer die Laschen zur Löschsperre herausgebrochen! Das raffinierte Luder muss die so entstandenen Einkerbungen mit Tesa überklebt haben!

Das alles ist wirklich so, als würde man die Rückseite eines Liebesbriefes erst mit einer Einkaufsliste beschreiben, um ihn dann noch im Supermarkt wegzuschmeißen. Klar, dass diese Dame niemals mehr ein Mixtape von mir bekam, überhaupt wollte ich sie nach diesem Vorfall nicht mehr wiedersehen.

Ich weiß nicht, was aus all den Mixtapes geworden ist, die ich in den letzten fast 30 Jahren verschenkt habe. Besonders das Schicksal einer ganz bestimmten Kassette würde mich brennend interessieren. Es ist das einzige Exemplar, von dem ich für mich selbst eine Kopie gemacht habe, weil das Erstellen dieses Mixtapes so intensiv war, dass ich das irgendwie konservieren wollte. Es stammt aus dem Jahr 1997 und heißt: "Das traurigste Tape der Welt". Das Cover ist recht schlicht gehalten. Auf schwarzen Hintergrund ist ein weißes Smiley gemalt, allerdings sind die Augen ein "X", die Nase fehlt und die Mundwinkel zeigen nach unten - was das Ganze dann wohl eher zu einem "Sady" macht, falls es so etwas gibt.

Das Tracklisting lautete wie folgt:

A
1) Spiritualized - Broken Heart
2) Mazzy Star - Into Dust
3) The Smiths - Asleep
4) Swans - Failure
5) Christian Death - Gloomy Sunday
6) Jeff Buckley - Hallelujah
7) Joy Division - Atmosphere
8) This Mortal Coil - Song To The Siren
9) Leonard Cohen - Avalanche
10) The Verve - History
B
1) Nine Inch Nails - Hurt
2) Portishead - Roads
3) Coil - Tainted Love
4) Blur - This Is A Low
5) The Cure - Cold
6) Mojave 3 - Mercy
7) New Order - In A Lonely Place
8) Smog - Wild Love
9) Japan - Night Porter
10) Dead Can Dance - Anywhere Out Of The World
11) Radiohead - Exit Music (For A Film)

Ich habe es schon lang nicht mehr geschafft, das komplette Tape am Stück zu hören. Das werte ich an dieser Stelle mal als gutes Zeichen.

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