Aufklärung
"Nö, stört uns nicht…"
Kavka war an einer Schule in Brandenburg und hat mit den Schülern über Nazis gesprochen. In seiner Kolumne schreibt er über ihre Ansichten, Pöbeleien auf Dorffesten und Zivilcourage.
Die Kolumne von Markus Kavka
Das Weblog "Störungsmelder" ist eine Säule der Kampagne, die andere ist der ´Störungsmelder on tour´. Konkret bedeutet das, dass wir zusätzlich zum Internetauftritt auch "raus", sprich an Schulen gehen, um vor Ort zu erfahren, wie die Neonazis sich organisieren und wie groß ihre Definitionsmacht ist. Wir versuchen, mit den Schülern Strategien zu entwickeln, wie man dem Treiben Einhalt gebieten kann. Letzte Woche stand unser erster Schulbesuch an. Er sollte eher den Charakter einer Pilotveranstaltung haben, mittels derer wir das Programm für die folgenden Tourstopps festzurren wollten. Daher war es auch unsere bewusste Entscheidung, zunächst ohne großen Presserummel an eine Schule zu gehen, die kein konkretes Neonaziproblem hat. Es galt rauszufinden, ob unser Konzept schlüssig ist. Grob sieht das so aus, dass ein Prominenter zusammen mit Leuten, die sich professionell mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen, an Schulen geht und eine offene Diskussion und eine Art Workshop abhält. Wir taten dies in Hennigsdorf in Brandenburg.
Die Stadt zählt etwa 26.000 Einwohner. Vor und während des Krieges sowie zu DDR-Zeiten war Hennigsdorf ein wichtiger Industriestandort, noch heute gibt es dort ein großes Lokomotivwerk.Wenn man nach Hennigsdorf rein fährt, denkt man nicht unbedingt, und da trete ich auch wohl niemanden zunahe, dass dies der schönste Ort der Welt ist. Das Stadtbild wird weitestgehend beherrscht von Nachkriegs-Mietskasernen. Nur vereinzelt sieht man ältere Gebäude. Aber klar, im Krieg wurde hier einiges platt gemacht, insofern ist es eh schon positiv, wenn einem auch das Attribut "beschaulich" in den Sinn kommt. Dennoch sind wir natürlich nicht dorthin gefahren, um einen netten Spaziergang an der Havel zu machen, sondern uns darüber zu informieren, was die Neonazis da so treiben.
Auf dem Weg zur Schule sticht einem sofort ein Indiz für braune Präsenz ins Auge. An einer Straßenecke am Rande des Zentrums von Hennigsdorf befindet sich der Laden ´On The Streets´. Seit einigen Jahren werden dort Produkte vertickt, die eindeutig der rechten Szene zuzuordnen sind, unter anderem Klamotten der einschlägig bekannten Marken sowie CDs ebenso einschlägig bekannter Nazi-Bands. Hinter dem Geschäft steht eine zentrale Figur der Rechtsrockszene: Alexander Gast, der Frontmann der Gruppe ´Spreegeschwader´. Einer Band, die nicht nur im Vorprogramm der inzwischen verbotenen ´Landser´ spielte, sondern auch eine Live-DVD aufnahm, die bei einem Konzert des NPD-Landesverbandes Sachsen entstand. Im Zusammenhang mit dem Strafbestand der Volksverhetzung gab es 2004 auch eine Hausdurchsuchung bei ´On The Streets´, im Zuge derer drei Kartons mit verbotenen CDs beschlagnahmt wurden. Unstrittig ist, dass Gasts Laden ein Treffpunkt für Neonazis aus Hennigsdorf und Umgebung ist. Zur Stammkundschaft zählten angeblich auch Mitglieder der Kameradschaft ´Freikorps´ aus Falkensee. Die Organisation wurde mittlerweile als terroristische Vereinigung eingestuft und verboten, nachdem man ihr unter anderem etwa zehn Brandanschläge auf von Migranten betriebene Imbisse im Osthavelland nachweisen konnte. Aktuell ist der Laden in zweierlei Hinsicht zusätzlich problematisch: Zum einen besuchen ´On The Streets´ immer wieder mal unpolitische Jugendliche, die in Ermangelung anderer Freizeitaktivitäten somit Gefahr laufen, in die rechte Szene zu geraten. Zum anderen liegt der Laden genau auf dem Weg vom Asylbewerberheim Stolpe-Süd ins Stadtzentrum. Nicht selten kommt es deswegen zu rassistischen Pöbeleien und Übergriffen auf Ausländer. Ein anderes Mal geriet Hennigsdorf im Juli dieses Jahres regional in die Schlagzeilen. Linke Jugendliche besetzten ein Haus, um es als alternativen Jugendtreff für sich zu beanspruchen. Am späten Abend wurde das Haus von einer größeren Gruppe gewaltbereiter Neonazis angegriffen. Nach einem halbstündigen Scharmützel zogen diese sich einigermaßen überraschend zurück. Tags darauf wurde das Gebäude von der Polizei geräumt.
Die Rechten sind also präsent in Hennigsdorf. Wie präsent sie im Alltag sind, galt es an der Schule herauszufinden. Vor uns, also meiner Wenigkeit sowie meinen zwei Begleiterinnen von ´Gesicht zeigen!´, saßen zehn Jugendliche im Alter zwischen 16 und 17 Jahren. Sehr schnell stellte sich heraus, dass jeder im Kurs Neonazis aus dem Ort persönlich kennt und/oder schon mal mit ihnen zu tun hatte, und dies auf teilweise erschreckend unspektakuläre/banale/normale Weise. Einer ist mit zwei Faschos im Boxclub. Tenor: "Wegen mir können die ruhig da boxen. Sind ganz nette Typen, außer dass sie halt Nazis sind. Aber mir tun sie ja nichts." Ein anderer spielt mit ihnen Fußball. Weil gerade keine anderen Gegner auf dem Bolzplatz waren, wird halt mit Nazis gekickt. Die Springerstiefel mit den weißen Schnürsenkeln stehen am Spielfeldrand. "Unsere politische Einstellung stört euch doch nicht…" "Nö, ist ja egal, gegen wen man spielt." Einer der ehemals besten Freunde eines Schülers ist mittlerweile überzeugter Rechter. "Ich hab ihm gesagt, dass ich das scheiße finde. Hin und wieder treffen wir uns noch. Es stört ihn nicht, dass ich seine Ansichten nicht teile." Der Punk-Freund einer Schülerin wird verprügelt, und auch während des alljährlichen Hennigsdorfer Stadtfestes ist es am späteren Abend mittlerweile eine unschöne Tradition, dass Rechte auf Punks losgehen. Die Lehrkraft des Kurses befürchtet massive Beschädigungen an ihrem Fahrzeug, sollte sie sich zu offensiv gegen Rechts engagieren.
Ich kann all diesen Hennigsdorfern nur schwerlich einen Vorwurf machen. Mit Blick auf ihre individuelle Lebenssituation und die unmittelbaren Umstände in ihrer Stadt ist ihr Verhalten teilweise sogar nachvollziehbar. Sie sind nahezu täglich mit Rechten konfrontiert, kennen sie persönlich, und offenbar ist bei jedem Einzelnen der Drang, ungeschoren davon zu kommen, wesentlich größer als jener, etwas zu unternehmen. Und genau da liegt das Problem, das Hennigsdorf mit vielen anderen Gemeinden teilt: Die Rechten nutzen diese Wegschaumentalität, um sämtliche Bereiche des täglichen Lebens zu unterwandern. Ihre Macht und Präsenz wächst so lange, bis ihrer Einschüchterungstaktik etwas entgegen gesetzt wird. Bis man erkennt, dass man alleine wenig ausrichten kann und deswegen den Schulterschluss gegen Rechts proben muss. Das ist es, was wir den Schülern versuchten zu vermitteln. Auch, dass es bei rechten Übergriffen andere Reaktionsmöglichkeiten als Gegengewalt oder Weglaufen gibt, und so sind ´Zivilcourage´, ´Deine Stimme als Waffe´, ´Opferschutz´ und ´Polizei´ wichtige Schlagworte im Workshop.
Ein verteilter Umfragebogen, den die Schüler am Ende anonym ausfüllen, zeigt, dass wir in jedem Fall Denkanstöße geben konnten. Den meisten war nicht klar, was man als Einzelner tun kann und was passieren kann und wird, wenn man nichts tut. Wir machen das jetzt an so vielen Schulen wie möglich.
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