Ich hatte in diesen Tagen einen Termin, den ich zwanzig Jahre lang hinausgezögert habe. Einen Termin bei meiner Bank. Ich spare jetzt.
Die Kolumne von Markus Kavka
Seitdem ich Geld verdiene, wanderte dieses stets ohne Umschweife auf ein zinsloses Girokonto. Da lag es dann so rum, bis ich mal wieder Lust hatte, mir etwas Sinnloses zu kaufen. Zusammen mit dem Dispo, den ich skrupellos zu meinem Guthaben dazurechnete, hielt ich mich beispielsweise für liquide genug, um zeitweise gleich zwei Autos zu besitzen. Wenn diese Autos, die zwar hübsch und günstig in der Anschaffung sind, dann ständig kaputt sind und einem im Unterhalt die Haare vom Kopf fressen, wenn man darüber hinaus noch "vergisst", Steuern zu zahlen und dann auch noch die Bank unnachgiebig den Ausgleich des Dispos fordert, werden erst mal EC- und Kreditkarte vom Automaten nicht mehr rausgerückt, anschließend folgt eine Flut unangenehmer Schreiben, am Ende steht man dann mit einem Bein im Knast.
Diese Erfahrung aus den Jahren 1994 bis 2001 hätte mich lehren sollen, mit Geld etwas behutsamer umzugehen. Allerdings verhält es sich so, dass Zaster für mich nur einen Wert hat, wenn ich mir etwas davon kaufe, und zwar sehr zeitnah. Zum Wert und Sinn, den ein Vermögen in zehn oder zwanzig Jahren haben könnte, hab ich kein Verhältnis. Das ist mir zu abstrakt.
Nun bin ich aber vor ein paar Wochen 40 geworden, und zu diesem Anlass fragten mich meine Eltern (und nicht nur sie) einmal mehr, wie ich denn mein Leben im Alter, das ja nicht mehr in so weiter Ferne liegt, zu finanzieren gedenke. Meine Antwort, und es ist seit 20 Jahren die gleiche: "Na ja, wird schon noch was übrig sein…" Doch diesmal wurde nachgehakt: "Wie viel denn?" "Keine Ahnung." "Dann geh doch mal zu deiner Bank und frag."
Gut, fragen kostet ja nichts, und so vereinbarte ich einen Termin mit dem Mann, der auf meinen Kontoauszügen unter ´Ihr persönlicher Betreuer´ vermerkt ist - einen Mann, den ich in den über zehn Jahren, die ich bei dieser Bank bin, noch nie zu Gesicht bekommen habe, der zwar vor gut einem Jahr mal sporadisch versucht hatte, mich zu einem Gespräch einzuladen, dann aber aufgab, weil ich in dieser Angelegenheit chronisch nicht zurückrief.
Schon die Bank zu betreten, fühlte sich merkwürdig an. Normalerweise wickle ich sämtliche Finanzangelegenheiten am EC-Automaten oder per Online-Banking ab, selbst die Herrschaften am Schalter bekomme ich daher also kaum zu Gesicht. Dann aber noch unten im Foyer in Empfang genommen zu werden und in den zweiten Stock des Gebäudes zu meinem Berater gebracht zu werden - Kaffee und Kekse im Vorzimmer inklusive - war mir dann eindeutig ein bisschen zu viel Bank auf einmal. Klemmiger als beim Urologen, saß ich mit schweißnassen Händen auf der vordersten Kante des Stuhls, in banger Erwartung der niederschmetternden Nachricht, wie arm ich mit 65 sein würde.
Dabei hatte ich sogar wacker versucht, mich im Vorfeld schlau zu machen. Ich las die Wikipedia-Einträge zu ´Rente´ und ´Riester Rente´, kapitulierte aber nach wenigen Zeilen, weil ich stattdessen genauso gut den Forschungsbericht einer chinesischen Atomwissenschaftlervereinigung studieren könnte, ich kaufte mir das Stiftung Warentest Sonderheft ´Altersvorsorge´, aber auch jenes verschwand nach ein paar verwirrt durchgeblätterten Seiten im Altpapier. Ob der Bankmann weiß, was er für eine Riesenverantwortung hat? Es wird diesen Termin aller Wahrscheinlichkeit nach nur ein einziges Mal geben. Ich werde zu allen Dingen, die mein Berater vorschlägt, ´Ja!´ sagen, daran nie mehr etwas ändern und gleichzeitig davon ausgehen, ein wohlhabender Rentner zu sein. Wenn nicht, ist mein Berater schuld.
"Schön, dass es mal klappt mit uns, Herr Kavka. Jetzt gucken wir erst mal, wie hoch ihre zu erwartende Rente ist. Haben sie bei einer anderen Bank ein Sparkonto oder ein Depot?" Nein. "Haben sie eine Immobilie?" Prust! Nein! "Gut. Bei ihrem derzeitigen Gehalt kommen sie dann, wenn man den Wertverlust des Geldes berücksichtigt, auf eine ungefähre Rente von 1.300 Euro."
Zack, das hat gesessen! Eintausenddreihundert Euro. So wird das nichts mit meinem großen Traum von einem Haus am Meer, in dem ich es mir nach getaner Arbeit zum Lebensausklang gut gehen lasse. Stattdessen heißt es unter diesen Vorzeichen wohl eher: Ab ins Heim! Und selbst die Tafel Schokolade, die ich meinen Kindern und Enkeln, sollte ich jemals welche haben, aus Dankbarkeit über ihren Besuch mitgeben will, muss ich mir vom Mund absparen. Ich sollte ein paar Tapes (DVDs, MPEGs) meiner Sendungen aufbewahren, sonst glauben die nie, dass der Opa mal im Fernsehen war, von dem es doch heißt, dass es einem die Rente sichert. Das mag für Günther Jauch, Thomas Gottschalk und Florian Silbereisen sicherlich zutreffen, für Markus Kavka allerdings nicht.
Am Tag nach dem Banktermin hatte ich im Zuge meines Fernsehdaseins ein Fotoshooting. Für ein Magazin, das eine Geschichte zum Bundesligastart macht, wurde ich in einer typischen Kreuzberger Fußballeckkneipe im Trikot meines Lieblingsvereins abgelichtet. Es war 12 Uhr mittags, in den dunklen, muffigen Räumlichkeiten saßen etwa zehn Gäste. Am Tisch neben mir hatte es sich ein älteres Paar gemütlich gemacht. Vor dem Mann lag mit ´Bild´, ´B.Z.´ und ´Berliner Kurier´ die geballte Berliner Boulevardladung ausgebreitet, seine Frau arbeitete sich derweil durch einen Stapel Kreuzworträtselhefte. Sie machten einen sehr glücklichen Eindruck, scherzten unablässig und fragten mich schließlich, ob sie ein Autogramm haben könnten, weil ich offenbar ja "irgendwie berühmt" wäre.
Aus den Lautsprecherboxen dudelte in diesem Moment ´Am Tag, als Conny Kramer starb´ von Juliane Werding. Das Paar sang mit. Und als ich den Text dieses zweifelsfrei großartigen Songs hörte, diese tieftraurige Ballade über den Drogentod des besten Freundes, fiel mir mit einem Mal der unterschwellige Grund für meine ablehnende Haltung gegenüber Altersvorsorge ein: Als großer Fan von The Who hatte ich einst eine Textzeile aus ´My Generation´ etwas zu sehr verinnerlicht. "I Hope I die before I get old" lautet sie, und sie war seit über 20 Jahren dafür verantwortlich, dass "Alter" als Zustand nicht Teil meines Lebensentwurfs war. In ihm zählte nur heute, morgen und vielleicht noch nächste Woche.
Jetzt ist das mit einem Mal anders, mit meinem frischen "Ansparplan" und meinen vielversprechenden "Rentenfonds". Schließlich will ich in 20 Jahren auch mal bei Juliane Werding mitsingen.