Prügelnde Polizisten und randalierende Deutschtürken sind mir nicht egal. Trotzdem fühle ich mich ohnmächtig.
Von Markus Kavka
In diesen Tagen wird in Berlin-Kreuzberg ein ekliges Süppchen gekocht. Die Zutaten: Ausländerfeindliche Polizisten, polizistenfeindliche Ausländer, Migranten, Gutmenschen, die 68er, Messer, MP3-Player, Prügel, Handschellen, Reizgas, Recht und Ordnung, Anarchie und Angst. Das Süppchen stinkt und schmeckt kacke. Man rührt und rührt, schmeißt noch ein paar scharfe Sachen rein und doch rümpft man die Nase, weil man nicht weiß, ob das Süppchen jemals lecker wird oder der Topf bald explodiert.
Eine kleine Chronik der Vorgänge in und um Kreuzberg in den letzten Tagen: Gestern: Maskierte Jugendliche dringen während des Unterrichts in eine Schulklasse ein, verprügeln den Lehrer und die Schüler, ziehen einen Jungen raus und stechen dann in einem Nebenraum mit Messern auf ihn ein.
Mittwoch: Etwa 60 Jugendliche fallen vor einer Schule in Berlin-Tempelhof über einen Mitschüler her und verprügeln ihn. Ebenfalls Mittwoch: Eine aufgebrachte Menschenmenge versucht Rettungskräfte daran zu hindern, ein fünfjähriges Unfallopfer ins Krankenhaus abzutransportieren. Offenbar waren die Angehörigen ungehalten darüber, dass der Notarztwagen so spät kam. Auch der Fahrer des Unfallwagens wird bedrängt.
Dienstag: Als zwei Polizisten im Kreuzberger Wrangelkiez zwei des Raubes eines MP3-Players verdächtige Zwölfjährige festnehmen wollen, tauchen wie aus dem Nichts etwa 100 Jugendliche auf, die die Polizisten bedrängen und auf sie einprügeln. Es kommt zu tumultartigen Szenen, die Situation beruhigt sich erst, als die Verdächtigen abgeführt sind.
Vor einigen Wochen hatten Jugendliche die Feuerwehr massiv an der Ausführung eines Einsatzes gehindert, weil diese ihrer Meinung nach einen Wohnungsbrand zu langsam löschte.
In all diese Vorfälle waren Menschen mit - Achtung, Unwort! - Migrationshintergrund involviert, und deswegen brodelt es jetzt in Kreuzberg, ach was, in ganz Berlin, weil natürlich jeder was zu sagen hat. In den Zeitungen wird man Zeuge unangenehmstem gegenseitigen Bashings. Dort die konservative Fraktion, die hartes Durchgreifen, Abschiebung und tüchtig auf die Mütze mit dem Schlagstock fordert, die die Misere weiterhin den 68ern bzw. den Grünen in die Schuhe schiebt, die - Achtung, nächstes Unwort - "Gutmenschen" verachtet und die Einwanderungs- und Bleiberechte verschärfen will. Auf der anderen Seite jene, die nach wie vor an den Erfolg einer vernünftigen Integrationspolitik glauben, mehr Geld für Bildung fordern, zu Toleranz aufrufen und den Polizisten, die im Wrangelkiez im Einsatz waren, vorwerfen, die Eskalation durch ausländerfeindliche Äußerungen provoziert zu haben.
Anzeige
All dies macht deutlich: Die Fronten sind verhärtet, eigentlich ist die Diskussion schon jetzt einer vernünftigen Grundlage beraubt. Und mitten drin sind sie, diese Jugendlichen,
über
die alle reden.
Mit
ihnen redet kaum einer, aber alle haben eine Meinung. "Typisch", ist in Bezug auf sie das meistverwendete Wort. "Typisch, die wollen sich ja nicht integrieren!", hier, und "Typisch, weil sie keine Chance haben, sich zu integrieren!", dort. Von außen betrachtet, scheint den jungen Migranten alles egal zu sein, so egal, dass sie wegen eines läppischen MP3-Players in den Knast gehen bzw. abgeschoben werden würden, so egal, dass sie den Tod eines Unfall- bzw. die ausbleibende Rettung eines Brandopfers in Kauf nehmen würden. Andererseits: Wie sehr muss man mit dem Rücken zur Wand stehen, wie wenig muss man an seine Zukunft glauben, um so etwas zu tun?
Ich wohne seit vier Jahren direkt am Rande des in den letzten Tagen oft bemühten Wrangel-Problemkiezes. Persönlich hatte ich noch nie irgendwelche Probleme, und doch bin ich täglich Zeuge dessen, was möglicherweise die Lunte am Zündfass ist. Es gibt in diesem Bezirk, in dem der Ausländeranteil bei 40 Prozent und die Arbeitslosenquote bei über 30 Prozent liegen, kein Miteinander, sondern nur ein Nebeneinander. Bis vor kurzem herrschte tatsächlich so etwas wie ein Nichtangriffspakt, der jetzt, aus welchen Gründen auch immer, gebrochen wurde.
Im Wrangelkiez ist diese oft romantisierte Mischung aus Multikulti, alternativem Leben und Armut so plakativ wie sonst nirgends. Hier geht alles: Punks, die an der Ampel Autoscheiben wischen, Alkoholiker und Junkies, die vor dem Supermarkt rumhängen, türkische Familien, die im Park grillen, Bioläden, Handyläden, Gangs, Clubs, hippe Boutiquen, Anzugtypen auf dem Fahrrad, Obdachlose auf der Parkbank, aber kaum einer scheint mit dem anderen zu reden.
Ich wusste eigentlich immer, wo ich stehe. Jetzt allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass ich verwirrt bin. Ich bin nicht der Feind, aber ich gehöre auch nirgendwo dazu. Ich sehe prügelnde Polizisten und randalierende Deutschtürken, und das ist mir nicht egal. Mich beschleicht ein Gefühl der Ohnmacht, und das finde ich nicht gut.