US-Evangelikale waren bisher eine sichere Klientel der Republikaner. Doch eine neue Generation stellt auch soziale Fragen und Umweltschutz in den Vordergrund.
Ein Interview mit David Kinnaman, Fragen von Tin Fischer
David Kinnaman, 34, lebt in Kalifornien und ist Präsident der Barna Group, die sich auf Studien zum Christentum in den U.S.A. spezialisiert hat. Das Buch "unchristlich: Was eine neue Generation über Christen denkt" ist 2008 im Hänssler-Verlag erschienen und wendet sich vor allem an Christen.
Dein Buch beginnt mit dem Satz: "Das Christentum hat ein Imageproblem." Die Studie zeigt, dass Christen in den USA vor allem als verurteilend, antihomosexuell, heuchlerisch und zu politisch wahrgenommen werden. Du bist ein engagierter Evangelikaler. Wie hast Du auf die Resultate reagiert?
Wir brauchten eine Weile, bis wir mit den Daten klar kamen und zum Schluss gekommen sind, dass an einigen dieser Wahrnehmungen etwas dran sein könnte. Das Christentum hat ein Imageproblem. Das zeigt, dass wir Schwierigkeiten haben, Christus zu repräsentieren. Wir haben uns zu sehr in unserer Glaubenspraxis bequem gemacht.
Ihr habt herausgefunden, dass sich ein Drittel der jungen Evangelikalen dafür schämt, gläubig zu sein. Hat das etwas mit der Politik der Christlichen Rechten zu tun?
Ich denke ja. Während mehr als 1.500 Jahren, seit der Konstantinischen Wende, haben wir in einer Gesellschaft gelebt, in der das Christentum in Partnerschaft mit der politischen Führung stand. Das an sich ist nicht schlecht. Gott hat Institutionen wie die Regierung oder die Familie etabliert, damit sich die Menschen in der Welt zurecht finden und Freiheit erfahren. Aber es wird zum Problem, wenn man glaubt, dass politische Macht ein Mittel zur inneren Veränderung der Menschen und zur sozialen Veränderung ist. In unserer modernen Welt hat die Gemeinde der Christen den Wagen vor das Pferd gespannt und gedacht, dass die Veränderung der Herzen mit dem Verändern der Gesellschaft beginnt.
Aber warum ist jungen Menschen der Glaube peinlich?
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Weil sie die Welt komplexer wahrnehmen, nicht nur in schwarz-weiss. Sie nehmen Heuchelei sehr schnell wahr und sind resistent gegen vereinfachte Botschaften. Sie suchen nach einer tieferen, ganzheitlichen Perspektive.
Evangelikale in der Politik haben sich auf zwei Themen beschränkt: Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehen. Gilt das dann noch für junge Evangelikale?
Jüngere Evangelikale weiten ihre politischen Positionen aus. Jüngere Christen beschäftigen sich mit Fragen des Lebens in erweiterten Kategorien, etwa Umwelt, Abtreibung oder Rechte von Arbeitern und Armen.
Barack Obama inszeniert sich als Kämpfer für Frieden und soziale Gerechtigkeit, ist aber nicht gegen Abtreibung. John McCain ist ein Sozialkonservativer und eine Art Kriegerfigur, will aber die "Rechte der Ungeborenen" schützen. Die Wahlen müssen für junge Christen sehr schwierig sein...
Sie sind zwischen Obama und McCain hin und her gerissen. Momentan sehen wir, dass ältere Evangelikale eher für McCain sind. Abtreibung ist einer der Gründe, warum sie die Republikaner unterstützen. Jüngere Evangelikale – oder besser gesagt: wiedergeborene Christen, eine erweiterte Gruppe von Leuten – tendieren etwas stärker zu Obama, weil sie glauben, dass er die Welt auch in Grautönen wahrnimmt und für ihren Wunsch nach ganzheitlichen Lösungen steht.
Jüngere Evangelikale könnten ihre Unterstützung für Obama zurückziehen, sobald sie seine Politik genauer unter die Lupen nehmen. Er hat ein sehr liberales Abstimmungsverhalten im Senat...
In dieser Spannung stehen die Christen generell. Viele Amerikaner sind bereit für mehr soziale Intervention, mehr Regierungskontrolle, eine weniger aggressive Aussenpolitik und eine andere Sicht auf die Themen Abtreibung und Homosexualität. Jüngere wiedergeborene Christen geben Obama keinen Freibrief in diesen Themen. Abtreibung und Homosexualität bleiben wichtige Faktoren, insbesondere Abtreibung. Aber insgesamt zeigen Erhebungen, dass Obama als bessere Wahl oder kleineres Übel angesehen wird.