Wenig später sind wir im Hotel, in meinem Zimmer riecht es muffig, auf dem Toilettensitz hat es Urin. Ich ziehe mich aus und mache die Dusche an, als ich eine Kakerlake von gut sechs Zentimetern Länge entdecke, in Marokko waren sie nicht halb so groß, ich hasse Kakerlaken, ich hasse sie wie die Pest, ich weiß, dass sie vor mir Angst haben, dass sie denken, ich selbst sei eine Kakerlake, eine Riesenkakerlake, dennoch hasse ich sie.
Ich stelle die Dusche ab und gehe nackt und tropfend ins Schlafzimmer, wo ich mir ein Glas holen will, um darin die Kakerlake zu fangen, gerade strecke ich die Hand danach aus, als das Licht ausgeht, wie so oft in Indien, deshalb haben die guten Hotels Generatoren, dieses Hotel aber ist nicht gut, sonst hätte es auch keine Sechs-Zentimeter-Kakerlaken, also stehe ich nackt und tropfend in vollkommener Dunkelheit, eine Minute, zwei Minuten, drei Minuten, vier Minuten, nackt und tropfend (das wirst du aufschreiben, denke ich, genau so, wie es jetzt passiert), da geht das Licht wieder an, ich nehme das Glas und kehre ins Bad zurück, immer noch klebt die Kakerlake an der Wand, groß und hässlich, ich versuche, sie zu fangen, doch sie entwischt mir, entwischt mir immer wieder, denn sie ist schnell und kann fliegen, und ich bin nackt und tropfend, auch der Boden ist nass, da, endlich, erwische ich sie, zerquetsche ihr mit dem Glasrand ein Bein, wie verrückt zerrt sie daran, zieht und zerrt immer weiter, während ich ein anderes Glas hole, sie darin fange und hinter die Toilette aus meinem Gesichtsfeld schiebe.
Dann dusche ich zu Ende und trockne mich gerade ab, als ich eine zweite Kakerlake sehe, noch größer als die erste, noch hässlicher als die erste, gottverfickte Scheiße, denke ich, gottverfickte Scheiße, worauf ich mich anziehe und zum Empfang gehe: "The manager, please."
Er kommt, und ich erkläre ihm im besten Englisch meines Lebens ("You must understand me properly"), dass meines Bleibens in seinem Hause nicht mehr sei, er versteht das, versteht das vollkommen und bedauert, bedauert das außerordentlich, dann ruft er mir ein Taxi, während ich mit Absicht auf eine dicke, haarige Spinne starre, die sich hinter ihm ihr Netz baut, immer noch starre ich auf diese Spinne, als der Wagen kommt und mich zurück in die Stadt fährt, vorbei am Pförtner, der hilflos-großartig salutiert, vorbei an einer Million schlafender Rinder, vorbei an jenem Bus, der wahrscheinlich ausweichen wollte, doch in Tamil Nadu sind die Straßen gern von Bäumen gesäumt, abermals knirscht das Glas der Scheiben, als wir darüber fahren, doch ich sehe keine Verletzten mehr.
Wenig später bin ich in einem Luxushotel und erhalte mit dem Zimmerschlüssel die Fernbedienung. Sie ist plastikverschweißt.
9
Der Tag beginnt schlecht, denn ich finde in Madurai weder "101", das Livealbum von Depeche Mode, noch Kassetten von ABC, The Human League oder Blancmange, also höre ich weiterhin die Pet Shop Boys, habe aber das Glück, dass ich zu den Klängen von "Opportunities" ein Slum passiere.
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Dann sind wir aus der Stadt heraus, überall wird Ton gebrannt, ab und zu sehe ich christliche Gräber, bis die Gegend hügelig und dann sogar gebirgig wird und wir uns auf einer Straße, die nur mehr aus Schlaglöchern besteht, in die Höhe schrauben, um zuletzt die Grenze nach Kerala zu überqueren und in Kumily einzutreffen, einem Städtchen, das für seinen Gewürzmarkt berühmt ist, und ich weiß nicht warum, aber als ich bei "Mickey Textiles" den Stoff verlange, aus dem die Uniformen der dortigen Polizisten sind – khakifarben, schwer und mit einem Polyesteranteil von 65% –, da fühle ich, dass ich dem perfekten Hemd sehr nahe bin.
Beim Bruder des Textilhändlers lasse ich kurz darauf Maß nehmen, sein Laden heißt "Plit", was in der Landessprache "Bügelfalte" bedeutet, dann besuche ich einen Frisör und bekomme für achtzig Rappen den besten Haarschnitt meines Lebens, das Deckhaar ausgedünnt und angescheitelt, die Seiten kurz, die Koteletten lang. "He just knows", meint mein Fahrer, so wie der junge Miles wusste, wie man eine Krawatte bindet, "he just knows". Dann ziehe ich mein neues Hemd an, es ist perfekt, und lasse mich zum nahen Periyar-See fahren, der in einem Naturreservat liegt und auf dem ich eine Rundfahrt machen will.
Mit ein paar anderen Touristen warte ich auf das Ausflugsboot, während mir immer wieder Äffchen unter das Hemd schauen und ich mir einrede, dass sie nicht dressiert sind, dann gehen wir an Bord und tuckern wenig später an Wildschweinen, Sambarhirschen und Elefanten vorbei. Als ich hoch oben in den Hügeln Tiger entdecke, gebe ich dem Bootsführer 1000 Rupies und verlange, dass er mich aussteigen lässt. Er will nicht. Ich gebe ihm 5000 Rupies, soviel verdient er nicht in einem Monat, einen Augenblick lang zögert er, dann legt er an und ich gehe an Land.
Während ein deutscher Tourist seine Videokamera auf mich richtet, teile ich das Dickicht mit beiden Händen und schlüpfe in den Wald hinein.