Ich gehe nie wieder zu Ärzten, die du mir empfohlen hast. Und die Haare schneiden kann ich mir selbst.
Von Lena Schüch
DIESEN SCHMERZ, dieses stechende, kommt mir das nicht irgendwoher bekannt vor, ich meine, habe ich das nicht schon mal erlebt, ist das nicht irgendwie ein alter Hut, den man nicht mehr aufsetzen muss, kalter Kaffee, der nicht mehr getrunken wird und Schnee von gestern, längst geschmolzen?
Irgendwie muss es hell geworden sein vor meinen geschlossenen Augen, viel heller noch, seitdem ich eingeschlafen war. Vielleicht geht ein Rauschen durch die Bäume, ein Zittern durch das Gras wie ein schweres Seufzen, ich weiß es nicht mehr, denn ich habe vergessen, wo ich mich zum Schlafen hingelegt hatte. Sterne kann man auch sehen, wenn man die Augen geschlossen hält, meistens noch viel besser, mit verglimmender Sternschnuppe. Und das Gras leuchtet saftig grün, wenn man drauf strahlt mit der LED-Leuchte.
Als ich die Augen aufmache, da sehe ich erst, dass ein Vogel seine Krähenfüße auf meinen Brustkorb gelegt hat und mit seinem unkontrollierten Schnabel beharrlich auf mich einhackt, immer oberhalb des rechten Lungenflügels. Ist das Herz nicht links, oder ist das nur mein Spiegelbild –
wenn ich in die blutunterlaufenen Augen schaue, mich an den roten Äderchen entlang hangele, um einen festen Punkt auszumachen. Aber solange ich in deine Augen schaue, kann ich mich nicht finden.
"Du musst zum Arzt", sagtest du und lächeltest so unschuldig, als hättest du gar nicht gemerkt, was du da gesagt hast. Mit deiner Gabel spießtest du den letzten Rest einer Reihe an Erbsen und Lammfleisch auf und schobst dir die Portion in den Mund. Nein, du legtest sie auf deine Zunge, zogst das Stück geformtes Edelstahl wieder zwischen deinen Lippen hervor und bewegtest mit verdrehtem Arm die Zinken der Gabel weg von deinem Körper. Vorsichtig kauend mit geschlossenen Augen und leisem Mmmh. Ich fragte mich, wo du das so gesehen hattest.
Jetzt noch ein kleiner Schluck Sekt, ein sanfter Augenaufschlag, das Glas kurz gegen die Wange gedrückt, mich anschauen und lächeln. Komm, tu’s, das wäre wie im Fernsehen.
Ist es nicht ein schöner Abend?
Ja, das ist es.
Die Wunderkerzen in der Zitronencreme auf dem Silbertablett zwischen uns hörten gerade auf, Funken zu sprühen und so konnten wir uns mit filigranen Löffeln darüber her machen, das zuckersüß Saure in die gefüllten Körper zu stopfen, die unsere leeren Köpfe trugen. Eine zarte Berührung deiner Hand, die meine nicht makellose Haut prüfte. Ein Kuss von dir, bei dem du mit deiner spitzen Zunge eine Faser Fleisch aus meinen Zähnen pultest.
Ich warte darauf, dass der Kellner kommt und die Kerzen löscht, so wie er sie angemacht hat.
Das Licht der Stadt zerfloss unter unseren Augen, als wir auf der Brücke standen und dein Haar glänzte. Für einen Moment dachte ich, ich wüsste, wer du bist und schluckte ein bisschen Salzwasser. Du gabst ein hysterisches Kichern von dir und klettertest angetrunken auf das Brückengeländer, als ich mich fest im lockeren Griff deiner Finger hielt. Du riefst für dich Undefinierbares in die Nacht hinein und zogst an mir, damit ich mitmachte.
Der Augenblick, sich groß zu fühlen, war schon verpasst.
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Ich sehnte mich danach, wie wir zu zweit vor dem Ofen saßen und zusahen, wie der Käse auf der vor Fett triefenden Schinken-Salami-Tiefkühlpizza mit Champignons zerlief. Wachsflecken waren auf dem Teppich und dem Fliesenboden. Wir aßen staubtrockene Cornflakes ohne Milch. Und wir lachten. Hatten gelacht.