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Armut

"Draußen sind wir alle Zigeuner"

TEIL 2

Zuender: Die Recherche dauerte insgesamt mehrere Monate. Wurden Sie während dieser Zeit in die Gemeinschaft der Siedlung integriert oder blieben Sie Fremde?

Eduard Freudmann: Wir sind natürlich immer „die von draußen“, weil wir die Möglichkeit haben, die Siedlung jederzeit zu verlassen, in den Wohlstand zurückzukehren. Das können die Bewohner nicht. Wir haben uns nie der Illusion hingegeben, in dieser Hinsicht auf einer Ebene mit den Bewohnern agieren zu können. Während unserer Aufenthalte sind aber dennoch einige persönliche Beziehungen entstanden.

Can Gülcü: Das hat auch mit unserer Methode zu tun. Wir haben keine Interviews geführt, eher Gespräche. Ohne zuvor einen bestimmten Fokus festzulegen oder ein bestimmtes Ziel vorzugeben. Es konnte über alles und jeden gesprochen werden.

Zuender: Mit welchen Emotionen haben die Bewohner darauf reagiert, dass ihr Leben im Elendsviertel in ein Buch kommen soll?

Can Gülcü: Viele fanden es interessant, sich mit jemandem zu unterhalten, der aus der Siedlung heraus berichten möchte und sich dafür viel Zeit nimmt. Aber es gab auch Bewohner, die sich schämten, unter solchen Umständen zu leben.

Eduard Freudmann: Man kann auch nicht von DEN Bewohnern sprechen, dafür sind sie zu verschieden. Sie unterscheiden sich in ihrer Herkunft, sozialen Stellung und politischen Position. Der Großteil der Bewohner ist aber überzeugt, dass der momentane Zustand Unrecht ist und nicht sie selbst die Schuld daran tragen. Menschen von außen sollen deshalb erfahren, wie es in der Siedlung zugeht.

War es deshalb besonders schwierig, diese Vielfalt im Buch angemessen darzustellen?

Eduard Freudmann: Beim Schreiben war das schon eine große Herausforderung. Wir haben oft über einzelne Formulierungen diskutiert. Und wir haben sehr stark darauf geachtet, nicht zu verallgemeinern.

Can Gülcü: Die Diskrepanz zwischen Innen- und Außenwelt ist groß. Ein Bewohner fasste das mit den Worten zusammen: „Außerhalb der Siedlung sind wir alle Zigeuner.“

Zuender: Das Projekt wurde unter anderem von der Stiftung einer großen österreichischen Bank gefördert. Unternehmen und Organisationen setzen soziales Engagement und Kunstförderung oft dazu ein, das eigene Image aufzupolieren. Kann man sich als Künstler vor einer Instrumentalisierung durch die Förderer schützen?

Can Gülcü: Klar ist, dass man ein künstlerisches Projekt irgendwie finanzieren muss. Und sobald man sich mit Geldgebern einlässt, wird man durch diese instrumentalisiert. Solch eine Instrumentalisierung kann man vielleicht ansprechen und reflektieren, wie wir das im Buch machen. Aber vermeiden kann man sie nicht.

Eduard Freudmann: Die einzige Möglichkeit, sich einer Instrumentalisierung durch Geldgeber zu entziehen, wäre, sich dem Kunstmarkt zu entziehen. Und zwar völlig. Damit würden nicht nur geförderte Projekte wie unseres unmöglich, auch der traditionelle Galeriebetrieb wäre am Ende.

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