KRIMINALITÄT
Pistolen gegen Konsolen
Die Idee ist einfach: Wer daheim daddelt, kann draußen keine Verbrechen begehen. Mit einer Tauschaktion will Mexiko-Stadt die Kriminalitätsrate senken. Aber der Plan geht nicht ganz auf.
Von David Siems
Nach
Tepito
trauen sich selbst Polizisten nur mit schweren Waffen in
den Händen und Gasmasken vorm Gesicht. Zu gefährlich ist das Barrio
Bravo, das Wilde Viertel. Rauschgifthandel, Prostitution und Diebstahl
florieren hier zwischen den heruntergekommenen Wohnblocks im Zentrum
von Mexiko-Stadt.
Carlos ist 18 Jahre alt und wohnt mit seiner Mutter und den vier
Schwestern in einer Dreizimmerwohnung in Tepito. Sie leben von knapp
7000 Pesos im Monat, das sind umgerechnet ungefähr 450 Euro. Der Vater
ist seit langem verschwunden.
Carlos ist Mitglied der
Polvorones
, einer kleinen Gang in Tepito, die
"nichts mit den großen Sachen zu tun hat", wie er sagt. Damit meint er
vermutlich den Waffen- und Drogenhandel. Seit Jahrzehnten herrscht in
dem Viertel ein blutiger Krieg: Verfeindete Gangs kämpfen gegeneinander
und gemeinsam gegen die Polizei, im vergangenen Jahr kamen 2000
Menschen um. Allein in Tepito.
Carlos kennt diese Zahlen: "Jedes Jahr werden es mehr", sagt er. "Ohne
Waffe gehe ich nicht aus dem Haus, auch wenn ich jetzt mehr Zeit daheim
mit meinen Freunden verbringe". Carlos hat eine seiner Pistolen gegen
eine Spiel-Konsole eingetauscht, ganz legal.
Die Idee stammt von
Marcelo Ebrard
, dem neuen Mitte-Links-Bürgermeister
von Mexiko-City, der seit vorigem Dezember im Amt ist. Anders als der
konservative mexikanische Präsident Felipe Calderón, der für seinen
harten Kurs gegen die Kriminellen bekannt ist, möchte Ebrard mit ihnen
sprechen. Die Stadtverwaltung bietet darum allen Einwohnern von Tepito
an, kleine Schusswaffen gegen eine
Xbox
, die Spiele-Konsole von
Microsoft, zu tauschen. Die Computerfirma unterstützt das Projekt als
Sponsor. Größere Kaliber, vollautomatische Maschinengewehre oder
Uzis
bringen sogar kleine Geldbeträge, Essen oder einen neuen Computer im
Wert von 769 US-Dollar. Tauschwilligen wie Carlos wird volle Anonymität
zugesichert.
Als das Projekt vor zwei Monaten startete, wurden am ersten Tag
immerhin 17 Waffen abgegeben. Sie sollen "von der Armee vernichtet
werden" – was auch immer das bedeuten mag. Carlos ist von der Idee
begeistert: "Eine
Xbox
hätte ich mir auf legalem Weg hier in Mexiko
niemals leisten können, doch viel cooler ist ja eigentlich, dass ich
nach wie vor zwei Waffen in meinem Zimmer versteckt habe."
Glaubt er, dass das Umtauschprogramm die Kriminalität senken wird?
"Nein, niemals. Die Stadt muss von Grund auf ethisch und moralisch
saniert werden. Solange die Leute hier keine Perspektive haben, werden
sie weiter stehlen, Drogen nehmen und ihre Waffen gebrauchen. Da kannst
du weitere Millionen für Polizeiarbeit ausgeben oder die Menschen in
Tepito mit noch mehr Computern ködern. Das bringt alles nichts."
Polizeipressesprecher Manuel Fuentes sieht das anders, er ist stolz auf
die kleinen Erfolge: "Das Projekt läuft jetzt seit zwei Monaten sehr
erfolgreich. Täglich kommen bis zu 30 Personen, die ihre Waffen
eintauschen und glücklich nach Hause gehen. Solange wir die
Unterstützung von Microsoft haben, werden wir das Programm fortführen."
Ist die Kriminalitätsrate in Tepito seitdem zurückgegangen? "Das lässt
sich in der kurzen Zeit noch nicht feststellen, doch wir wissen, dass
weniger Waffen im Umlauf sind", sagt er.
In mexikanischen Blogs sind die Meinungen geteilt. Ein Großteil der
Autoren findet die Umtauschaktion originell, aber gibt es auch
Userkommentare wie diesen: "Wie cool ist das denn? Ich besorge mir
einfach eine Pistole auf dem Schwarzmarkt für 350 Pesos und tausche sie
dann ein…" 350 Pesos sind umgerechnet etwa 25 Euro.
Auch wichtig:
Monster hinterm Sofa
- Wer Killerspiele verteufelt, macht es sich zu leicht. Wer sie verharmlost auch, glaubt der Autor Mark Butler
"Blut ist nicht wichtig"
- Ego-Shooter verursachen Gewalt, sagt Stoiber. Der Spielentwickler Faruk Yerli sieht das anders. Ein Gespräch
Drüber reden?
- Dieser Artikel wird hier im Forum diskutiert
Nach Hause
- Zuender. Das Netzmagazin