Er war einst Generalsekretär der CDU. Nun ist er Attac beigetreten und kämpft gegen den neoliberalen Zeitgeist. Ein Interview mit Heiner Geißler.
Fragen von Christian Bangel
Zuender: Herr Geißler, Sie gehören einem Netzwerk an, das in einem Aufruf verkündete, für die G8 sei Krieg ein Mittel, um sich Zugang zu Rohstoffen und Märkten zu sichern. Gleichzeitig können die Verantwortlichen nicht ausschließen, dass sich ihnen während der Proteste auch Gewaltbereite anschließen.
Heiner Geißler: Ich muss nicht alles akzeptieren, was in einer Organisation gesagt wird. Genauso wenig, wie ich alles akzeptieren muss, was der Vorsitzende des Wirtschaftsrats der CDU sagt. Es kann sein, dass ich mit Einigen quer liege, aber das ist nicht die Hauptsache. Attac wendet sich gegen die ungerechten Seiten der Globalisierung und entwickelt wirtschaftspolitische Konzepte. Das ist mir wichtig.
Die Polizei in Heiligendamm will das Demonstrationsrecht während des Gipfels einschränken. Sollen die Protestierenden dort bis an den Zaun heran dürfen?
Ich kenne die örtlichen Gegebenheiten nicht. Aber das Demonstrationsrecht ist ein Grundrecht, es wird ad absurdum geführt, wenn die Adressaten den Protest nicht sehen können. Die Polizei hat die Aufgabe, nicht nur den Gipfel, sondern auch dieses Recht zu schützen.
Als der russische Präsident Wladimir Putin kürzlich Angela Merkels Kritik an der mangelnden Demonstrationsfreiheit in Russland mit dem Hinweis auf die jüngsten Razzien der Bundesanwaltschaft konterte, nannten Sie seine Haltung verständlich ...
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Ich habe nur gesagt, Frau Merkel solle sich bei den deutschen Behörden für diese Vorlage bedanken. Davon, die russischen Verhältnisse mit den Vorgängen hier zu vergleichen, kann keine Rede sein. Nur: die Bundesanwaltschaft darf nicht mit der Schrotflinte ins Dunkle schießen, in der Hoffnung etwas zu treffen.
Sie sind Attac beigetreten, weil sie mehr Regeln für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen möchten.
Die Globalisierung läuft völlig schief. Sie hat ein Wirtschaftssystem geschaffen, in dem Hedgefonds unkontrolliert arbeiten können, sogenannte Geier-Fonds riesige Gewinne auf Kosten hochverschuldeter afrikanischer Länder machen und in dem der Börsenwert eines Unternehmens umso höher steigt, je mehr Arbeitnehmer wegrationalisiert werden. Ein solches Wirtschaftssystem ist krank, unsittlich und ökonomisch falsch.
Nach wie vor werden in vielen Staaten der Welt neoliberale Rezepte angewandt. Manchmal mit Erfolg.
Neoliberalismus führt überall dazu, dass es wenigen besser und vielen schlechter geht. Selbst in Ländern, die vom Weltexport profitieren, wächst die Kluft zwischen Arm und Reich. China ist das beste Beispiel dafür. Das Land macht uns Konkurrenz aufgrund eines kriminellen Standortvorteils, den es mit einer gnadenlosen Ausbeutung der Menschen, mit Lohnsklaverei und mit Zerstörung der Natur erlangt. Hinzu kommt der geistige Diebstahl durch die grassierende Produktpiraterie. Auf diese Art kann jeder Idiot auf dem Weltmarkt erfolgreich sein.
Wie soll man dem chinesischen Arbeitnehmer bewusst machen, dass er ausgebeutet wird?
Das ist nicht möglich. Er befindet sich in Konkurrenz mit Millionen Wanderarbeitern, die noch weniger Lohn nehmen als er. Hinzu kommt: Er kann seine Not nicht artikulieren. Die meisten haben Angst und sind korrupten Behörden ausgeliefert.
Wie also erreicht man ausgeglichene Lebensumstände weltweit?
Es braucht geistige Führung. Revolutionen haben noch nie die Armen organisiert. Es sind die Intellektuellen, die jetzt gefordert sind.
Noch immer aber unterbinden viele Staaten den Zugang zu kritischen Meinungen.
Das Internet ist ein wichtiger Faktor. Der Versuch, den Meinungsaustausch im Netz zu zensieren, wird fehlschlagen.
Wir brauchen die ansteckende Kraft der Ideen von Freiheit, Gerechtigkeit und Gleichheit. Auch die letzte europäische Revolution 1989 gelang trotz diktatorischer Umstände. Was die Solidarność erst in Polen und dann im gesamten Ostblock entzündete, konnte keine Diktatur bremsen.