Attac
"Kapitalismus ist falsch"
TEIL 2
Damals war der Westen mit seinen liberalen Idealen noch ein Vorbild. Heutige Revolutionen sind meist antidemokratisch. Würden in den meisten arabischen Diktaturen freie Wahlen stattfinden, kämen Islamisten und nicht Demokraten an die Macht.
Das ist die große politische Sünde der Regierung Bush, die mit dem Irakkrieg und Guantánamo die gemeinsamen Werte des Westens diskreditiert hat. Die vergangenen sechs Jahre waren ein schwerer Rückschlag.
Wie könnten Europa und Nordamerika wieder Vorbild für demokratische Bewegungen werden?
Wir brauchen ein ethisches Fundament unserer Politik. Wir können nicht mehr denjenigen folgen, denen die Gier nach Geld die Hirne zerfrisst. Wir brauchen Konzepte für eine internationale sozial-ökologische Marktwirtschaft, für international verbindliche Regeln. Und dann brauchen wir dafür Mehrheiten.
Mit solchen Regeln meinen Sie die Tobin-Steuer, die internationale Finanztransaktionen verteuern soll?
Die Tobin-Steuer wäre ein wichtiges Element eines solchen Regelwerkes.
Viele Globalisierungskritiker glauben, die Probleme ließen sich nicht im System des Kapitalismus lösen.
Der Kapitalismus ist genauso falsch wie der Kommunismus. Er kennt keine Werte jenseits von Angebot und Nachfrage. Die Kommunisten haben versucht, den uralten Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zu lösen, indem sie Kapital und seine Eigner eliminierten. Der Kapitalismus liquidiert die Arbeit und die Arbeitnehmer.
Wir brauchen einen neuen Weg der Mitte, ein Vorbild könnte die alte deutsche soziale Marktwirtschaft sein. Sie umzusetzen, ist aber heute nicht mehr möglich, denn die Ökonomie ist im Gegensatz zur Politik inzwischen global aufgestellt. Daher muss sich die Politik internationalisieren.
Sie reden von Überwindung der Nationen?
Ja. Der Nationalstaat ist nicht mehr in der Lage, auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren.
Große Teile der europäischen Bevölkerung lehnen schon ein regionales Konstrukt wie die EU ab.
Das liegt daran, dass die EU sich in das Schlepptau dieser neoliberalen Entwicklungen begeben hat. Die Dienstleistungsrichtlinie und zu viel Freizügigkeit für Arbeitnehmer haben dazu geführt, dass die Menschen in Kernländern wie Frankreich oder den Niederlanden plötzlich Angst vor Europa haben. Die Bürger spüren, dass nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt steht und wenden sich von der Politik ab.
Manche junge Menschen wenden sich nationalistischen oder rechtsextremen Parteien wie der NPD zu. Die erstarkte Nation soll helfen, weil die Globalisierung für Ungerechtigkeit sorgt.
Erstens kann ich nicht beobachten, dass die NPD großen Zulauf hat. Und zweitens wird sich diese Ansicht als Unsinn herausstellen. Der US-Soziologe Daniell Bell sagte einmal: "Der Nationalstaat ist für die großen Dinge zu klein und für die kleinen Dinge zu groß." In Zukunft werden Gemeinden, Städte, Regionen viel wichtiger. Nur sie können Heimat vermitteln, nur dort können sich Menschen wiederfinden. Große Fragen wie Wirtschaftspolitik oder Terrorismusbekämpfung müssen dagegen international gelöst werden. Das hat zur Folge, dass Berlin, Rom, Paris, London immer unbedeutender werden. Schwerin, Köln, Wiesbaden und Stuttgart werden wichtiger.
Warum wird vor dem Gipfel so viel über die Gipfelgegner, aber nicht über Globalisierung gesprochen?
Die deutsche Politik arbeitet auf Sicht. Zwangsläufig, da es an denkerischen Konzeptionen fehlt. Vor allem die Kirchen, Universitäten und Gewerkschaften müssten den Debatten mehr Anstöße geben. Da sie zurzeit ausfallen, liegt viel Verantwortung bei den politischen Parteien.
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