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Familienplanung

Vier plus X

Fahren durfte man in unserer Siedlung nur im Schritttempo. Geboren wurde dafür schneller als das Statistische Bundesamt erlaubt. Erinnerung an das Aufwachsen in einer "Siedlung für kinderreiche Familien".

"Billiges Bauland für kinderreiche Familien!" Dieser in den Regionalmedien verbreitete Slogan zog Anfang der Achtzigerjahre die Fruchtbaren und Sparsamen wie die Fliegen an. Auch meine Eltern. Obwohl sie damals nur drei Kinder an der Hand hatten. "Vier sind aber Minimum", grunzte der Verpächter. "Das vierte ist unterwegs!" versicherte mein Vater eifrig und tätschelte Mutters Bauch. Das Bauen konnte beginnen.

Die gebärfreudige Bäckerin, die fruchtbare Friseuse, der zeugungswütige Zimmermann – alle kamen sie. Flugs wurde eine Siedlung für Kinderreiche aus dem Boden gestampft, ein Ghetto der Gebärwütigen, eine Familien-Favela. Für Fremde gab es einen Wink auf dem Straßenschild am Ortseingang: "Vorsicht, Kinder!" Denn durch unsere Straßenschluchten durfte man nur im Schritttempo fahren. Geboren wurde statt dessen schneller als das Statistische Bundesamt erlaubte. Während im Rest der Republik die Geburtenrate auf 1,4 Kinder pro Frau fiel, stieg sie bei uns auf 4,2.

Das blieb nicht ohne Folgen: Umstandsmode wurde zur Dorftracht. Kombis und Bullis waren die heißesten Schlitten, und ihre Fahrer fachsimpelten nicht über Pferdestärken, sondern über Kindersitze. Nur Dieter, Kfz-Meister und bekennender Sponti, tanzte da aus der Reihe. Im tiefer gelegten Fiat Variant juckelte er seine Kinder durchs Dorf, aus den Boxen dröhnte Life is life und die Reifen quietschten selbst bei 5 Kilometern pro Stunde. Die Kinder johlten. Und wir anderen Kinder johlten auch, denn für uns war die Siedlung das Paradies. Ein Leben im Spielgefährtenüberfluss, Freunde und Feinde gab es satt. Ganze Fußballmannschaften bekamen wir zusammen, Armeen, Volksaufstände, Straßenschlachten.

Aber noch bevor alle Grundstücke bebaut waren, versiegte der Zustrom an Kinderreichen. Ausländer gab es in diesem Landstrich damals nur wenige, und die kinderreichen Deutschrussen saßen noch hinter dem eisernen Vorhang fest. Dass so auch ein Paar mit nur zwei Kindern in unseren Reihen bauen durfte, führte fast zum Eklat. Das war gegen die Regeln. Das war sippenwidrig! Die Neuen hatten keinen leichten Stand, ständig gab es Frotzeleien hinter vorgehaltener Hand: "Guck mal, da kommt die mit dem gebärfaulen Becken!" "Haben die keinen Spaß mehr im Bett oder warum haben die nur zwei Kinder?"

So viele Kinder, Elternpaare, hier und da noch eine Oma, ein Schäferhund oder ein Collie. So viele Gestalten. So viele Namen. So viele Dramen. Da brannte bei Nacht und Nebel die Mutter aus dem Haus Nummer 15 mit dem Vater aus der 16 durch und wurde nie mehr gesehen. Da liefen Kinder und Tiere zu den Nachbarn über. Da wurden Kaffeekränzchen zu Bandenkriegen und die freiwillige Feuerwehr zur Trutzburg für ausgebrannte Väter.

Weiterlesen im 2. Teil »


 
 



 

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