//Zitate-Blog//

Zitat des Tages

Es wird viel gesagt, wenn der Tag lang ist. Und es gibt viele lange Tage »

 

//Kochblog//

Rezeptor

Unser Topf soll schöner werden? Das Zuender-Kochblog hilft »

 

//Spielen//

Wir wollen Spaß

Kommt ins Bälleparadies – alle Spiele vom Zuender gibt es hier »

 

//Newsletter//

Post von Zuenders

Was gibt es neues aus der Redaktion? Unser Newsletter informiert Dich an jedem ersten Donnerstag im Monat. Hier anmelden »

 
////
Seiten: « 1 | 2 | 3 »

Familienplanung

Vier plus X

TEIL 2

"Warum nur habe ich mir all die Gören angelacht", hörte ich einmal einen, spätabends nach Hause torkelnd, lallen. Ja, warum? Aus Lust und Kinderliebe? Oder war es doch das Kindergeld? Für meinen Vater kann ich das verneinen. Er war nicht geld-, sondern gengeil. "Wenn jeder von euch wieder vier Kinder bekommt und jeder von denen wieder vier, und die wieder vier, und immer so weiter, dann werden meine Gene in...", er klimperte auf seinem Taschenrechner, "...256,5 Jahren die ganze Welt bevölkern! Kapiert?" Wir nickten.

Dass das Eiland der Kinderseligen nicht die Welt war, dass es auch ein Außerhalb gab, wurde mir erst spät klar. Am Tag meiner Einschulung. Aus meiner Siedlung war ich in der Klasse die einzige. Unsere Lehrerin flötete in die Runde: "So, und jetzt möchten wir alle wissen, wie viele Geschwister die anderen haben. Wer von euch hat kein Geschwisterchen?" Sechs Kinder meldeten sich. "Und wer hat eins?" Zwölf Hände in der Luft. "Wer hat zwei?" Das Schnipsen vierer Finger. "Und drei?" Nur mein Arm arbeitete sich langsam nach oben. Überboten wurde ich nur von einer Libanesin, die, nachdem "vier", "fünf", und "sechs" verstrichen waren, die Lehrerin die Geduld verloren hatte und "jetzt sach’ schon" zischte, über beide Backen strahlte und rief "zehn". Da das Mädchen aber nach kurzer Zeit aus der Klasse verschwand, war ich die unangefochtene Rekordhalterin.

Wie furchtbar. Ich, der statistische Ausreißer! Ich, die Abnormale! Ein Schock. Auf einmal wollte ich auch ein Einzelkind sein, kein Serienkind, und vor allem kein Mittelkind. Wäre ich doch wenigstens das immergoldige Nesthäkchen gewesen. Oder die Erstgeborene, die Haus und Hof erbt. Aber das einzige, was ich erbte, waren ausgeleierte Unterhosen und die trübe Badewannenbrühe, in die uns unsere Eltern reihum steckten.

Kinderreichtum war nicht nur antiquiert, wie mir nun aufging, sondern brachte auch nichts ein. Keine gesellschaftliche Anerkennung. Kein Mutterkreuz. Nicht mal ein Ständchen des Posaunenchors am Gartenzaun, wie doch sonst für jede Lappalie. Einzig die Deutsche Bahn würdigte unsere Mannschaftsstärke durch die kostenfreie "Karnickel-Bahncard" für Kinderreiche. Und hier und dort gab es ein mitleidiges Lächeln und Winken an der Ampel, wenn unsere Mutter mit uns im rostigen Volvo zum Marktkauf fuhr. "Diese arme, frustrierte Alte!", schienen die Leute zu murmeln, oder: "Der Vater ist sicher über alle Berge, aber wer kann es ihm verdenken!"

In den neunziger Jahren wurden die letzten freien Grundstücke von zwei deutschrussischen Familien bebaut. Sieben und neun Kinder brachten sie mit. Das katapultierte die lokale Geburtenrate ins Astronomische, das stellte alles in den Schatten. Die Nachbarinnen, grün vor Neid, standen kurz vor den Wechseljahren und konnten nicht mehr nachlegen. So verlegten sie sich wieder mal aufs Frotzeln: "Guck mal, da kommen die mit den ausgeleierten Brüsten!" "Sind die mannstoll oder warum haben die so viele Kinder?"

Seitdem ist wieder ein Jahrzehnt vergangen. In der Siedlung ist alles beim Alten. Ansonsten aber hat sich einiges geändert. Die Karnickel-Bahncard wurde abgeschafft. Die bundesdeutsche Geburtenrate ist noch weiter gesunken. "Überalterung" ist jetzt das demographische Endzeitschlagwort Nummer eins, nicht mehr "Überbevölkerung". Kinderreiche sind trotzdem nicht im Kurs gestiegen, werden weiterhin mit Dauerarbeitslosigkeit assoziiert. Aber es gibt auch eine bescheidene Gegenbewegung, vor allem im gehobenen Bürgertum. Im Speckgürtel Stuttgarts zum Beispiel soll Kinder kriegen wieder ein Sport für Reiche sein, dort haben die Leute so viele Kinder wie Autos im Stall. Luxuskombis. Und Edelbullis. Und an den Abenden gibt es schwäbische Schwangerschaftsschwänke satt.

Weiterlesen im 3. Teil »


 
 



 

//  Startseite //  // Politik // Kultur // Leben // Schwerpunkte // Bildergalerien //  // Adam Green // Redaktionsblog // Rezeptor // Markus Kavka // Selim Oezdogan // Sonntagstexte //  // Zitat des Tages // Spiele //  //
//  IMPRESSUM //

 

ZUM SEITENANFANG