Birand Bingül ruft in der ZEIT die Deutschtürken dazu auf, sich besser zu integrieren. Doch mit dem Begriff fangen die Probleme schon an.
Eine Antwort von Selim Özdogan
Es gibt eine Geschichte von einem Mann, der sich für ein Maiskorn hält und deshalb panische Angst vor Hühnern hat. Er begibt sich in Therapie und nach etwa 200 Stunden ist der Patient geheilt. Er hält sich nicht mehr für ein Maiskorn. Als der Therapeut ihm ein Huhn zeigt, rennt er aber schreiend aus dem Raum.
Ich dachte, sie glauben nicht mehr, dass sie ein Maiskorn sind, sagt der Therapeut. Ja, sagt der Mann, ich weiß, dass ich kein Maiskorn bin, aber weiß das Huhn das auch?
Es muss ein tiefliegender, nicht behebbarer, möglicherweise genetischer Charakterdefekt sein, dass ich mich immer wieder angesprochen fühle, wenn von Deutschtürken die Rede ist, selbst wenn ich weiß, dass ich eigentlich nicht gemeint sein kann.
Birand Bingül schreibt
in einem Artikel in der aktuellen Ausgabe der ZEIT
viele Dinge, die richtig sind. Einiges basiert auf Fakten, anderes auf Studien, da ist nicht viel dran zu rütteln. Er weiß sogar: "Natürlich sind viele von uns besser integriert, als die öffentliche und veröffentlichte Meinung weismachen will." Auch das würde ich als eine Tatsache ansehen und nicht als Meinung.
Doch Bingül arbeitet genauso mit unzulässigen Pauschalisierungen wie die Gegenseite, wider besseren Wissens. Wenn die Rede davon ist, was so in türkischen Teestuben geredet wird, dann könnte das so ähnlich auch in einem Boulevardblatt stehen. Wenn ich "wir Deutschtürken" lese, frage ich mich, wie es passieren kann, dass ich schon wieder in so einer Gruppe lande, die es nicht gibt. Und von der der Autor auch weiß, dass sie nicht existiert: "Es gibt nicht eine, es gibt viele deutschtürkische Communitys."
Und dennoch möchte er diese Communitys zusammenfassen zu einem "Aktionsbündnis Integration". Das einzige verbindende Element dieses Bündnisses wäre die Ethnie. Und das ist ja das, wovon man eigentlich wegmöchte: immer auf die Herkunft reduziert zu werden. Mir leuchtet das nicht ein. Man grenzt sich freiwillig aus, damit man nicht mehr ausgegrenzt wird.
Es scheint mir auch, als sei das ganz im Sinne von nicht so wohlmeinenden Menschen: Da haben wir die ganzen Alis schön übersichtlich in einem Bündnis und sie bewegen sich nicht so unberechenbar in unserer Gesellschaft herum, wie sie gerade lustig sind.
Man betont eine Differenz, weil man auf die Aufhebung von Differenzen aus ist. Klar, oder?
Wenn überhaupt, würde ich ja den Weg der Gemeinsamkeiten vorschlagen, aber vielleicht ist auch das der falsche. Denn das ist ja nur meine Meinung, dass das funktionieren könnte. Und Meinungen gibt es ebensoviele wie Menschen und woher soll ich wissen, dass ausgerechnet ich richtig liege?
Anders gefragt: Wer ist Birand Bingül, dass er glaubt zu wissen, was gut für mich ist? "Es braucht etwas Mut zur Veränderung. Aber es wird sich für jeden lohnen", verspricht er.
Ist eigentlich schon mal jemandem aufgefallen, wieviel Unheil Menschen letztlich anrichten, die glauben, sie wüssten wo es langgeht? Dabei können sie die besten Absichten haben, darum geht es nicht. Das Leid kommt in die Welt auch durch die Leute, die sie zu einem besseren Platz machen wollen. Nimm Religionsstifter, nimm Marx, nimm irgendwen, der eine nennenswerte Anhängerschaft hat und schau, wieviele um der guten Sache Willen Drangsal erdulden mussten.
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Das ist natürlich nur die eine Seite dieser Medaille, aber ich habe den Eindruck, man schaut seltener drauf.
Mein Aufenhaltsstatus in diesem Land ist nicht anders als der von Murat Kurnaz. Und somit weiß ich, was ich dem Land wert bin, wenn es hart auf hart kommt: Fast nichts.
Nein, ich möchte auch nicht zu denen gehören, die sich in einer Opferrolle sehen, aber dass man hier ausgegrenzt wird, ist einfach Fakt.
Ja, ich weiß, dass alles Gute in die Welt kommt, weil jemand mehr tut als er muss. Aber mir geht es wie diesem Mann, der weiß, dass er kein Maiskorn ist. Ich weiß mittlerweile, dass ich integriert bin. Es sind nur ganz schön viele Deutsche, die das nicht wissen. Und ich bin es leid, Überzeugungsarbeit zu leisten. Wer will – bitte. Ich möchte nicht mein Leben als Sklave dieser Themen verbringen.
Aber eigentlich wundert es mich nicht, dass Birand Bingül soviel Platz und Aufmerksamkeit bekommt und ich dann hier ein paar Zeilen dazu schreibe. Wäre ich bequemer Deutscher, der so einiges nicht weiß, dann würde mir Bingüls Meinung auch besser in den Kram passen als meine.