"Lager, Lager, Lager!" – Underworlds "Born Slippy" wurde in den Neunzigern zur Hymne und Sänger Karl Hyde zum Alkoholiker. Doch das alles ist längst vorbei und nur eine Episode aus zwanzig Jahren Bandgeschichte.
Ein Portait von Tim Brandt
"Wir müssen uns bei
John Peel
bedanken", sagt Karl Hyde. "Seine Late Night Show in der BBC hat uns damals auf merkwürdige Musik aus Deutschland aufmerksam gemacht:
Ash ra Tempel
,
Tangerine Dream
,
Faust
,
Neu
oder
Can
. Für uns Teenager in den Siebzigern klang das neu und aufregend.
Kraftwerk
hat uns das Tor in diese Welt geöffnet, aber dann kam noch eine Reihe weiterer deutscher Künstler, die neben der Gitarre frühzeitig den Synthesizer als Stil prägendes Element einsetzten. In England nannten wir diese Musik
Krautrock
."
Diesen Vorbildern ist Karl Hyde gefolgt: In den frühen Achtzigern gründet er mit seinem Kumpel Rick Smith und zwei weiteren Freunden die Synthie Pop-Band
Freur
, der immerhin mit "Doot Doot" ein kleiner Singleerfolg gelingt. Weil es danach aber nicht zu weiteren Platzierungen in den UK-Charts reicht, wird die zweite LP nur noch in Deutschland und Holland veröffentlicht, 1985 löst sich die Band nach Reibereien mit der Plattenfirma wieder auf.
Auch die musikalischen Erfolge unter dem neuen Bandnamen
Underworld
sind zunächst überschaubar. Das ändert sich erst, als Karl Hyde und Rick Smith den 18-jährigen DJ Darren Emmerson rekrutieren. Das erste gemeinsame Album
Dubnobasswithmyheadman
erscheint 1993 und landet auf Platz 11 der Charts, wird von den Kritikern in den höchsten Tönen gelobt und gilt heute noch als eines der einflussreichsten Dance-Alben überhaupt. "Ich habe erst später verstanden, dass diese Platte für viele der Einstieg in die Dance-Musik war", erzählt Karl Hyde.
Auch der noch weitgehend unbekannte Regisseur Danny Boyle, der 1995 an seinem Film
Trainspotting
arbeitet, hört sie rauf und runter und benutzt sie als Soundtrack für die Rohfassung des Films. Kurz vor der Fertigstellung entdeckt er aber den Track
Born Slippy
auf der B-Seite eines Underworld-Releases.
Trainspotting
wird 1996 international zu einem Erfolg und das auf dem Soundtrack enthaltende
Born Slippy
zur Hymne.
Underworld
sind mit diesem Hit auf einen Schlag dem Untergrund entwachsen und füllen plötzlich ganze Hallen. Karl Hyde erzählt von einem sagenhaften Konzert in Glastonbury, das 18 Stunden dauerte – ohne Drogen, wie er versichert. "Es war, als hätte ich meinen Körper von innen geduscht, ein einzigartiges Gefühl, das noch eine Woche angedauert hat."
Was aber sagt er seinem Publikum, das manchmal nicht älter als seine eigenen Kinder ist und mit riesigen Pillen-Pupillen umhertanzt, weil es sich nicht auf die alleinige Kraft der Musik verlässt? "Ich sehe mich nicht in der Position, Leuten gleich welchen Alters vorzuschreiben, wie sie ihre Freizeit verbringen. Ich hoffe nur, dass sie nicht sich selbst oder andern schaden."
Und der 49-jährige weiß, wovon er spricht. Denn obwohl er immer wieder betont, niemals illegale Drogen konsumiert zu haben, hatte er ein "legales" Drogenproblem: Alkohol. Legendär seine Auftritte wie bei einem Londoner Radiosender, für den er seine Lieblingslieder spielen soll. Nach einer Stunde hat er eine Flasche Tequila geleert und wird aus dem Studio getragen. Offenbar schien der plötzliche Erfolg zu verlangen, dass er immer öfter mal Einen kippte, um seine Kreativität neu anzuheizen. "Es war wie ein schwarzes Loch mit spitzen Zähnen, das immer größer wurde. Wenn ich nicht die Kraft gehabt hätte, damit aufzuhören, wäre das mein Ende gewesen".
Mittlerweile ist das alles Geschichte: die Sucht und
Born Slippy
auch. Dass er mit beiden Themen immer noch ständig konfrontiert wird, geht Karl Hyde spürbar auf die Nerven: "Durch diesen Track sind uns neue Türen geöffnet worden. Das war eine tolle Sache. Aber wir haben lange vor und nach
Trainspotting
Musik gemacht, und es langweilt, wenn uns die Leute ständig auf diesen einen Song ansprechen."
Besonders stolz sind
Underworld
auf ihren Erfolg mit Filmmusik, auch wenn dieser – eingeleitet durch den Soundtrack zu
Trainspotting
– zunächst irgendwie doch wieder mit Drogen zu tun hat. Rick Smith beschwert sich einmal darüber, dass immer, wenn sie nach Liedern für einen Film gefragt wurden, ihre Musik für Szenen des Typs "verdrogter-DJ-in-gefährlicher-Auto-Verfolgungsjagd-mit-Todesfolge" verwendet werden sollte.
"Mittlerweile ist das ganz anders", sagt Karl Hyde. "Wir werden inzwischen als respektable Produzenten in diesem Genre wahrgenommen", die nicht nur einzelne Lieder Verfügung stellen, sondern komplette Soundtracks produzieren. Gerade arbeiten sie an der Musik für den Science Fiction-Film
Sunshine
von Danny Boyle, und in Kürze erscheint die Musik zu
Breaking and Entering
, dem neuen Film von Anthony Minghella (
Der talentierte Mr. Ripley
). "Und der Witz ist", lacht Karl Hyde, "dass unsere Musik immer öfter in Reisesendungen und Natur-Dokus eingesetzt wird, was wir super finden und unsere Vielfalt bestätigt."
Vielfalt ist ein Stichwort: Bei
Underworld
geht sie über die Musik hinaus. Seit Anfang der neunziger Jahre betreiben sie mit ihrem Partner John Warwicker die preisgekrönte Designagentur
Tomato
, die für Plattencover von
Underworld
und eine Vielzahl von Werbespots und Filmtitel-Sequenzen verantwortlich ist. Warwicker gehörte zu den ursprünglichen Mitgliedern der Band
Freur
. Er hat bereits damals die Cover gestaltet, für die extravagante Bühnenperformance gesorgt, mit Videomaschinen gescratched und bei Liveauftritten riesige Leinwände hinter den Musikern aufgebaut. "Das war 1983! Er war seiner Zeit schon immer voraus. Die Leute dachten, er sei total wahnsinnig!", sagt Karl Hyde. "Aber in all den Jahren haben wir immer zusammengehalten."