Das erste Hamburger Comicfestival war ein Erfolg. Bloß: Der Veranstalter will darüber nicht reden. Darum hat sich Jan-Frederik Bandel selbst umgeschaut
Schon wieder ein Interview?
Sascha Hommer
ist skeptisch. „Vielleicht habe ich einfach eine Grenze überschritten. Bestimmte Geschichten habe ich schon so oft erzählt, dass ich gar nicht mehr weiß, ob sie überhaupt stimmen.“ Zum Beispiel die Erfolgsgeschichte der jungen deutschen Comicszene, die in den letzten Jahren auf den Plan getreten ist: selbstbewusst und mit viel Freude am Erzählen.
Hamburg gilt derzeit als Standort Nummer eins für Comics, was vor allem den Studierenden der
Hochschule für Angewandte Wissenschaften
zu verdanken ist. Nicht nur Stadtteilmagazine haben das Potenzial erkannt, das in der Uniszene steckt, sondern auch popkulturell weniger versierte Feuilletonredaktionen. Sogar das Wirtschaftsmagazin
brand eins
hat dem Thema kürzlich einen langen Beitrag gewidmet: Sascha Hommer und sein Zeichnerkollege
Arne Bellstorf
waren die Titelhelden der Fernsehreihe
Die Aufbrecher
, die das Magazin gemeinsam mit dem ZDF produziert.
Natürlich ist ein solches Medienecho erfreulich. Doch die Journalisten hinken der rasanten Entwicklung hinterher, die das Selbstverständnis der Comicszene durchläuft: Als das ZDF-Feature ausgestrahlt wurde, hatten sich Arne Bellstorf und Sascha Hommer bereits wieder vom selbstständigen Verlegertum verabschiedet. Rechnungen schreiben, Päckchen schleppen, Pressestimmen angeln? Das mag von den Berliner Propagandisten der
digitalen Boheme
gefeiert werden. Die beiden Zeichner haben damit aber nichts im Sinn, ihr kleiner Comicverlag
Kikipost
wird künftig als Sublabel des etablierten
Reprodukt
-Verlags fortbestehen. Dort können die beiden weiterhin Programmarbeit machen und haben ansonsten ihren Frieden. Sie haben schließlich andere Dinge zu tun, zeichnen zum Beispiel. Oder einfach mal Comicfestival organisieren.
Wie kürzlich, im Hamburger
Kulturhaus 73
, dessen Räume zwei Tage lang von der Comicszene bespielt wurden: 15 Aussteller aus Deutschland und der Schweiz kamen auf Einladung der Veranstalter Sascha Hommer und Haina Fischer. Vornehmlich kleinere Verlage, aber auch Studierende der Hochschule für Angewandte Wissenschaften, die an einem eigenen Stand Grafiken und selbst verlegte Hefte anboten. Mit
Carlsen
war auch ein großer, kommerziell ausgerichteter Verlag vertreten.
Das war eine Weiterentwicklung gegenüber bisherigen Independent-Comicbörsen, die in den vergangenen Jahren unter dem Titel
Heftich
in Hamburg veranstaltet wurden. Sascha Hommer sagt: „Die
Heftich
-Börsen waren ein wichtiger Ort, um sich zu treffen. Und weil der Veranstalter in diesem Jahr keine Lust mehr dazu hatte, haben wir versucht, sein Projekt unter anderem Vorzeichen fortzusetzen, zum Beispiel, indem wir uns nicht auf den so genannten Independentbereich beschränkt haben. Aber auch, indem wir sehr viel mehr Rahmenprogramm bieten.“
So gab es neben der traditionellen
Comicbattle
(schnelles Wettzeichnen) jetzt auch Vorführungen des Berliner Puppentheaters
Sidekick Productions
und eine Party mit DJs und Live Act. Höhepunkt war aber der Auftritt des Berliner Comiczeichners
fil
am Samstagabend, der – in ein indianisches Squawkostüm geworfen und mit Handpuppe und Gitarre bewaffnet – selbst das notorisch gelangweilte Hamburger Szenepublikum in Bewegung brachte.
Anzeige
Apropos Publikum: Das unterschied sich deutlich von jenen berüchtigten Schnauzbärtigen, die
–
immer auf der Suche nach eingeschweißten Raritäten
–
üblicherweise die Comicbörsen bevölkern. „In Hamburg kann man den Eindruck bekommen, Comics seien eine coole und zeitgemäße Sache“, grinst der Zeichner
Leo Leowald
, der an diesem Wochenende extra aus Köln anreiste.
Und natürlich waren auch Bilder zu sehen. Bilder unterschiedlicher Machart und Qualität, zum Verkauf versammelt unter dem Titel
Knecht Rübezahl Kunstausstellung
. „Das einzige Kriterium für die Aufnahme in den Katalog: ein Holzrahmen um das Bild“, sagt Sascha Hommer. „Es ist durchaus eine Kunstausstellung, aber eben falsch verstanden. Sie wurde kuratiert von Knecht Rübezahl, und der kennt sich mit Kunst nicht aus. Er hat Sachen ausgewählt, das glaubt man gar nicht.“
Die Ironie, mit der Sascha Hommer die Ausstellung kommentiert, hat wenig mit den Bildern selbst zu tun. Sie zeugt vielmehr davon, dass Comiczeichner nicht mehr um Anerkennung als Künstler ringen müssen. Galerien sind für sie oft Orte, an denen man feiert. Im Treppenhaus des Kulturhauses, in dem die Rübezahl-Bilder hingen, wurde das deutlich. „Das Interessante für mich an den Hamburger Comiczeichnern“, sagt Sascha Hommer, „ist, dass sie das Medium Comic mit derselben Selbstverständlichkeit nutzen wie andere Medien. Man kann alles damit machen!“
Das belegt auch die neueste, inzwischen sechste Ausgabe des Comicmagazins
Orang
, die gerade noch rechtzeitig zum Festival erschien. Neben Arbeiten aus der Hamburger Szene sind darin Zeichner aus China, Taiwan, Finnland und den USA vertreten. Das steht dem Band ebenso gut an wie das breite Spektrum von expressiven bis minimalistischen Stilen. „Das nächste Heft wird noch besser“, verspricht Sascha Hommer.
Internationaler werden, das wünschen sich die Organisatoren, sollte das Hamburger Comicfestival sich zur Institution entwickeln. Der Erfolg der ersten Auflage spricht dafür. Auch
Simon Schwartz
, der am Stand der Hochschule für Angewandte Wissenschaften studentische Projekte vorstellte, bestätigt den positiven Eindruck: „Das Spannendste im Comicbereich kommt in Hamburg zusammen. Insofern wäre es logisch, dass es eine – vielleicht etwas feinere – Alternative zum
Erlanger Comicsalon
im Norden gäbe. Hier gibt es wirklich alles: Vom zum tausendsten Mal aufgelegten frankobelgischen Comic bis hin zu den merkwürdigsten Sachen in Kleinstauflage.“
Ob die Fachhochschule nun, da die
Orang
-Zeichner nach und nach ihr Diplom ablegen, weiterhin eine Keimzelle der Comickultur bleiben wird, wagt er allerdings nicht zu prophezeien. Die eine oder andere bemerkenswerte Arbeit jüngerer Studenten war am Stand durchaus zu entdecken, etwa die Bücher von
Marijpol
, die unter anderem die selbst verlegten
Abenteuer vom Händchen, vom Herzchen und von den Äuglein
im Angebot hatte: ein surreales, energiesprühendes Album nach einem Motiv der Brüder Grimm.
Wie wird sie weitergehen, die Erfolgsgeschichte, die Sascha Hommer gerade nicht erzählen will? „Ich kann das heute irgendwie nicht. Aber es war sehr schön. Es ist ein gutes Zeichen, dass so viele Zeichner aus Berlin und anderen Städten da waren. Im Vorfeld hatte ich den Eindruck, das Festival ist ein bisschen überbewertet. Denn für uns selbst war es eher eine improvisierte Sache. Aber nach dem Erfolg dieses Wochenendes kann ich mir schon vorstellen, eine regelmäßige Veranstaltung daraus zu machen.“