Joanna Newsom musste schon viel ertragen: Dass Journalisten sie als Zauberelfe bezeichnen zum Beispiel. Woher das kommt? Sie macht schräge Musik auf ihrer Harfe und qietscht abgrundtiefe Texte. Jetzt wird aber erstmal geredet
Interview von Hendrik Lakeberg
„Honigmond” steht draußen über dem Eingang des Berliner Hotels, in dem Joanna Newsom residiert. Die Flure sind mit billigen Antiquitäten voll gestellt. Über einen Boden aus Baumarktfliesen führt ein Durchgang in die Lobby. Vorne am Fenster glüht ein Gaskamin. Das Feuer spiegelt sich in der Glasscheibe, die Straße dahinter verschwindet in der Abenddämmerung. Ein flacher, rustikaler Holztisch, um ihn herum lederbezogene Sessel. Joanna Newsoms achtes Interview in Folge geht gerade zu Ende.
Mit ihrem neuen Album Ys hat die 24jährige Joanna Newsom aus Kalifornien die vielleicht erstaunlichste Platte des Jahres hingelegt: Ihr Instrument ist eine zwei Meter große Pedalharfe, im Pop so unwahrscheinlich wie eine Mundharmonika im klassischen Konzert.
Damit nicht genug: Keines der insgesamt fünf Stücke auf Ys ist kürzer als neun Minuten. Joanna Newsom stürmt mit kieksend herausgepressten Lauten durch die abstrakte Poesie ihrer Texte, im nächsten Moment verklingt ihre Stimme weich und zärtlich. Sie singt von glühenden Meteoriten, erkaltetem Lehm und dunklen, rastlosen Träumen. Fast alles an Ys zeugt von großer Kühnheit. Im Pop ist das eine viel versprechende Eigenschaft.
Wenn sie so grazil in dem Ledersessel sitzt, merkt man ihr das im ersten Moment nicht an. Aber in Joanna Newsom rumort der Größenwahn. Als sie für die Orchester-Arrangements auf dem neuen Album den legendären Songwriter
Van Dyke
Parks wollte, bekam sie ihn. Als sie darauf bestand, ihre Gesangsaufnahmen von dem legendären Produzenten
Steve Albini
machen zu lassen, wurde es umgesetzt. Ys ist eine der teuersten Platten des Labels
Drag City
geworden.
Folk-Musik hat Hochkonjunktur. Nach ihrem ersten Album
The Milk eyed mender
galt Joanna Newsom zusammen mit
Devendra Banhart
als Galionsfigur einer Bewegung, die Journalisten etwas unbeholfen
Freak-Folk
nannten.
The milk eyed mender
klang noch bodenständig und reduziert. Mit Ys hat sich Joanna Newsom von dem bescheidenen Vorgängeralbum meilenweit entfernt, hat ein wildes, poetisches Meisterwerk erschaffen, das vor allem eines ist: einzigartig.
Joanna Newsom über das Harfenspiel als Obsession, Folk und das große Thema ihrer neuen Platte.
Seit wann spielst du Harfe?
Anzeige
Mit sieben oder acht habe ich angefangen. Seit ich zwölf bin, übe ich jeden Tag. Vier Stunden waren ganz normal. Die Hälfte der Zeit habe ich damit verbracht, eigene Stücke zu schreiben. Als ich 14 wurde und
westafrikanische Musik
entdeckte, ist das aus den Fugen geraten. Harfespielen war eine Droge. Ich blieb den ganzen Tag im Haus, übte bis spät in die Nacht. Ich hatte deshalb oft Ärger mit meiner Familie. Spukte eine Idee durch meinen Kopf, bin ich mitten in der Nacht aufgestanden und spielte.
Warst du eine Außenseiterin? Wie viele deiner Altersgenossen haben überhaupt verstanden, womit du dich den ganzen Tag beschäftigst?
Damals dachte ich, ich sei experimentell und außergewöhnlich. Aber wenn ich mir heute anschaue, was ich damals komponiert habe, waren das sehr einfache Formen, nichts besonderes. Es klang mal nach amerikanischem Folk, mal nach klassischer Musik, mal keltisch. Eigentlich immer wie das, was ich selber gerade lernte. Doch was es auch war, ich habe es immer wieder gespielt. So lange, bis aus dieser meditativen Herangehensweise eine neue Idee entstand.
Ob ich eine Außenseiterin war? Vielleicht wäre ich das unter normalen Umständen geworden. Aber ich hatte Glück, weil ich eine Familie und Freunde hatte, die mich bestärkten, meinen Weg zu gehen, die seltsames Verhalten nicht bestraften.
Kannst du nachvollziehen, wenn Journalisten deine Musik als Folk bezeichnen? Was ist Folk für dich?
Ich tue mich schwer damit. Was meint man eigentlich, wenn man heute von Folkmusik redet? Das Genre hat so viele unterschiedliche Phasen durchlaufen. Allein in den USA gab es von Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts unzählige
Folktraditionen
. In den sechziger Jahren politisierte sich der Folk,
wurde durch Bob Dylan
elektrisch
, dann
psychedelisch
und anschließend kam die große Liedermacher-Welle.
Ich bin mit traditioneller Folkmusik aufgewachsen. Bestimmt hat sich das auf meinen Stil ausgewirkt. Und es gibt zurzeit viele Musiker, die Folkmusiker machen.
PG Six
oder
Alasdair Roberts
zum Beispiel. Ich sehe sie als eine logische Weiterentwicklung der Folk-Tradition. Vielleicht können andere Menschen erklären, warum meine Musik Folk ist. Ich kann das nicht, weil ich in meiner Musik viel zu tief drinstecke.
Ich finde
das Cover
deiner neuen Platte sehr interessant. Es ist von Benjamin Vielring, der sonst sehr kitschige, düstere Motive malt.