Noch Tage vor der Entscheidung des Wahlgerichts glichen die Vororte von Oaxaca einer Geisterstadt. Die sonst so lebhaften Außenviertel waren wie leergefegt, weil die Einwohner der Stadt inmitten der Sierra Madre del Sur sich zu einem kilometerlangen "Megamarsch" durch die engen Gassen der Innenstadt zusammengefunden hatten. Der Zocalo, der Hauptplatz, auf dem an normalen Tagen die Männer unter dem Blätterdach der Bäume Siesta machen und alte Frauen handbestickte Blusen verkaufen, wurde zum Sammel- und Treffpunkt tausender Demonstranten. Exakte Zahlen gibt es nicht, die wenigen Medien, die überhaupt berichteten, sprachen von 40.000 bis 2 Millionen Teilnehmern. Im Meer der Transparente und Sprechchöre tauchten immer wieder die gleichen Forderungen auf: Verbesserung der Bildungsmöglichkeiten und Überholung des Gesundheitssystems.
Als die Proteste vor etwa drei Monaten begannen, hatte niemand damit gerechnet, dass der Stein, der da ins Rollen kam, so groß sein würde. Es waren die Lehrer, die erst im Kleinen, später auf den Hauptplätzen der Stadt, für Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen auf die Strasse gingen. Als die Regierung einschritt, schlossen sich immer mehr Menschen den Demonstranten an. In der Widerstandsbewegung sahen viele andere eine Plattform. Unter ihnen sind indigene Bauern, und die Gewerkschaft der Ärzte, die für ein besseres Gesundheitswesen kämpfen.
Die Demonstrationen haben sich längst zu einem Aufstand ausgeweitet. Weil das Programm zu schlecht war, besetzten die Protestierenden kurzerhand die örtliche Rundfunkstation und begannen, ein eigene Sendungen zu produzieren. Inzwischen senden sie 24 Stunden am Tag. Selbst nachdem Schlägertrupps in eine die Funkstationen eindrangen und die Technik mit Säure übergossen, ging es weiter. Die Einwohner von Oaxaca sind ausdauernd. Seit Jahren sind sie unzufrieden, nun entlädt sich ihre Wut in vollem Ausmaß. Die Meinungen, wie die Proteste fortgesetzt werden sollen, sind verschieden. "Wir kämpfen auch bewaffnet", sagen die einen, "Wir verzichten auf Gewalt" die anderen. Eine Frage, die die Demonstranten spaltet – und die Antwort darauf hängt auch davon ab, wie der neue Präsident mit der Revolte von Oaxaca umgeht.