Musik muss wie Kommunikation sein, präzise und auf das Notwendigste
beschränkt. Ohne blödes Gedudel von Liebe. Musik zum Nachdenken.
Minimal-Techno eben. Sagt Jeff Mills, einer der ältesten und besten
Techno-DJs der Welt. Der muss es ja wissen.
Fragen von Kati Krause
DJs gehören normalerweise nicht zu der Klasse Künstler, die auf der Straße erkannt werden. Doch als
Jeff Mills
die "Nou de la Rambla" in Barcelona entlanggeht, drehen sich Menschen nach ihm um, stoßen sich gegenseitig an und zücken ihre Mobiltelefone. Einerseits ist sein Äußeres bemerkenswert: klein und hager, mit riesigen, schwarzen Augen, erinnert er an
E.T.
Andererseits ist Jeff Mills einer der ältesten, bekanntesten und besten Techno-DJs der Welt, ein Name, der 160 bis 200 Mal im Jahr Diskotheken in 40 Ländern füllt. Ein bisschen Starrummel ist also verständlich.
Es ist fünf Uhr nachmittags, doch wir wünschen uns alle einen "Guten Morgen" – sogar die französische DJane
Miss Kittin
, als sie während des Interviews in die Hotellobby kommt, auf der Suche nach ihrem Bekannten Jeff. Der trinkt Tee und liest die "International Herald Tribune". Noch vor zwölf Stunden hat Mills vor tausenden begeisterten Tänzern auf dem Sónar-Festival aufgelegt.
Doch müde wirkt er nicht, im Gegenteil. Ruhig legt er seine Zeitung beiseite, fixiert mich mit seinen riesigen, schwarzen Augen, so, wie er es das ganze Interview hindurch tun wird. Ich werde nervös, schaue auf meinen Notizblock. Eine Einleitungsfrage muss her. Wo spielt er denn am liebsten?
In Japan, Italien und der Schweiz, aber Schottland und Österreich seien auch nicht schlecht. Klingt komisch, ist es aber nicht. Kleine Städte hätten oft die besten Nächte. "Es muss ein Konsens darüber bestehen, was aus der Nacht werden soll, und sowohl DJ als auch Publikum müssen auf diesen Zustand hinarbeiten," erklärt Mills. Klingt irgendwie kompliziert, mehr nach Arbeit als Vergnügen.
Doch das Zusammenspiel der beiden Parteien ist unumgänglich. Mills kommt nie mit einer Liederliste unter dem Arm zu einem Auftritt. "Man bekommt Zeichen vom Publikum, Reaktionen auf die Platte, die man gerade aufgelegt hat. Das bestimmt dann die nächsten Stücke. Ein guter DJ plant immer nur die ersten zehn Minuten seines Sets, danach bekommst du alle Anweisungen vom Publikum."
Jeff Mills ist ein guter DJ, und das weiß er auch. Der 43-jährige Gründervater des Minimal Techno aus Detroit ist auf eine sehr professionelle Art freundlich, gebildet, perfektionistisch und artikuliert. Wenn er über Musik spricht, klingt er fast akademisch. Er hört sich jede Frage genau an, analysiert sie für einen Moment und beantwortet sie dann auf eine Art, die niedergeschrieben fast schon arrogant wirkt. Sogar sein Lachen scheint kontrolliert. Total unlocker.
"Ich sehe Musik wie Kommunikation: Es ist äußerst wichtig, präzise zu sein und nur das Nötigste zu sagen. Mit Musik ist es nicht anders. Alles was ich spiele, spiele ich aus einem bestimmten Grund." Logik, Aussage, Präzision. Mein Gott, er erinnert mich an meinen Vater. Und zwölf Stunden vorher, auf der Tanzfläche, hatte ich mir noch ein Kind von ihm gewünscht!
Mills ist berühmt für seinen Stil: Wenn er auflegt, liegt kaum eine Platte länger als zwei Minuten auf den Tellern. Für ihn ist Techno eine der höchsten künstlerischen Ausdrucksformen. "Ich spiele Platten nicht als Platten, sondern als Klangwerkzeuge. Ich nutze ein Stück nicht wegen seiner Liedstruktur, sondern wegen der Frequenzen. Mit drei Turntables mixe ich dann alles zusammen, um ein neues Stück zu kreieren. Das ist ein viel höheres Niveau."
Spontaneität ist wichtig, doch damit es auf der Ebene "Stimulation-Reaktion" richtig funzt, muss auch das handwerkliche Können vorhanden sein. "Ich kontrolliere das Tempo, ich will nicht, dass das Publikum zu schnell zu aufgeregt wird. Mit bestimmten Platten kann ich die Leute neugierig machen, und das macht sie verletzlich. Ich kann zum Beispiel mit Stille arbeiten, um die Menschen hören zu lassen, wie leise sie eigentlich sind und wie allein in diesem Meer von Menschen." Jeder, der einmal erlebt hat, wie tausende Watt einfach abgeschaltet werden, weiß, wovon die Rede ist.
Techno ist eine einsame Musik. Ohne Texte. Er ist schnell und hämmernd, klingt zuerst monoton, doch wenn man genauer hinhört, entdeckt man Tiefe und Kreativität. Techno ist eine Reise, die jeder für sich alleine macht. "Manche Menschen wollen diese Musik der Liebe nicht – Bee Gees und so sexy Sachen. Sie wollen etwas, das zum Nachdenken anregt. Sie wollen mehr durch weniger. Sie wollen etwas gemeinsam mit 3000 anderen erleben und trotzdem allein sein. Elektronische Musik hat sich schon immer mehr auf den Einzelnen bezogen als auf die Masse."
Mills bedauert, dass Technologie eine immer größere Rolle in elektronischer Musik spielt. Diese verliere dadurch ihre Aussagekraft, meint er. Er selbst hat sich musikalisch auf den Weg zurück zu den instrumentalen Ursprüngen gemacht. Letztes Jahr nahm er ein ganzes Album mit dem Orchester von Montpellier auf. Manche Fans konnten das nicht nachvollziehen.
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Europäer mögen ihre elektronische Musik viel reiner als Amerikaner, glaubt Mills. Während Amerikaner mit Hip Hop, Country und Jazz aufwüchsen, stünden Europäer unter weniger musikalischen Einflüssen – sowohl historisch als auch was die Bandbreite betrifft. "In Amerika kann man auch mal Stevie Wonder spielen und die Leute verstehen das. Hier würden viele Leute wahrscheinlich denken, ich hätte was falsch gemacht, und darauf warten, dass ich es wieder richte."
Das sei aber nicht weiter schlimm. "Wenn Europa nicht wäre, wäre dance music schon ausgestorben. Denn in der amerikanischen Szene wurde sie langsam abgestoßen." Der Alte Kontinent rettet den Techno. Wenn das ein Film wäre, würde Jeff Mills auf jeden Fall den Soundtrack komponieren.