Net Neutrality
Internet in Gefahr
US-Telekommunikationsriesen leiten fremde Inhalte nur noch durch, wenn sie ihnen in den Kram passen. Das Ende der Netzneutralität?
Von Sebastian Dalkowski
Es begann mit unbedeutenden Fällen. 2005 legte sich die kanadische Telecommunications Workers Union mit dem Telefonriesen
Telus
an. Als die Gewerkschaft eine Internetseite einrichtete, reagierte das Unternehmen: Weil es die kritische Homepage blockierte, konnten Kunden von Telus die
Protest-Seite
nicht aufrufen. Im April dieses Jahres stoppte AOL alle E-Mails, die "www.dearaol.com" enthielten, den Link zu einer
Website
, die sich den Überlegungen des Internetanbieters widersetzte, Porto für den Versand von Mails zu verlangen.
In vielen Ländern verhindert die so genannte
net neutrality
derartige Aktionen. Das bedeutet: Die Telekommunikationsunternehmen
unterscheiden nicht zwischen den Daten, die sie transportieren. Sie
leiten alles anstandslos weiter und bevorzugen niemanden, auch wenn die
Homepage Kunde bei einem anderen Anbieter ist. Ruft also ein Benutzer
über Provider A eine Homepage auf, die bei Provider B angemeldet ist,
behandelt Provider A die Daten genauso, als wenn es eine Seite eines
eigenen Kunden wäre. Nur so ist es möglich, dass der Benutzer einen
kleinen Blog genauso schnell aufrufen kann wie die Homepage von Time
Warner.
In anderen Ländern hingegen ist die
net neutrality
bedroht.
Gesetzlich festgelegt ist sie ohnehin nirgends. Auf der einen Seite
stehen die Telekommunikationsunternehmen (Telkos), die
access provider
, die die Netzneutralität abschaffen wollen, auf der anderen Seite Unternehmen wie Google,
content provider
, und Privatkunden. Gerne argumentieren die Gegner von
net neutrality
mit der Freiheit des Internets, die sie durch eine Regulierung gefährdet sehen, wie bei der Kampagne
Hands Off The Internet
. Und warum sollten sie in besserere Leitungen investieren, wenn sie nicht mehr Geld für mehr Leistung kassieren dürfen?
In absehbarer Zeit werden Fernsehen, Telefon und Internet nur noch über einen einzigen Kanal, das Breitband, laufen. Aus diesem
triple play
wollen die Unternehmen die Konkurrenz heraushalten, vor allem die
Anbieter von Internettelefonie, die die Leitungen der Provider für ihre
Dienste nutzen. Das heißt konkret: Wenn ein Provider seinen eigenen
Anbieter für Internettelefonie stärken möchte, kann er die Verbindung
der Konkurrenz verlangsamen oder unterbinden, wenn
net neutrality
wegfällt. Ein anderes Beispiel: Wenn der Kabelnetzbetreiber
Comcast
seinen eigenen Musikanbieter
Rhapsody
durchsetzen möchte, kann er für
seine Kunden beispielsweise die Verbindung zu
iTunes
bremsen.
Politaktivisten fürchten zudem, dass alternative Webseiten und Blogs
keine Chance mehr haben.
Gegen diese Haltung hat sich in den USA großer Widerstand organisiert,
der überrraschende Allianzen schafft. Der Kampagne
Save The Internet
haben sich 761 Gruppen angeschlossen, darunter so unterschiedliche
Organisationen wie die Gun Owners of America, die Christian Coalition
of America und die Progressive Democrats of America. Mehr als eine
Millionen haben eine
Onlinepetition
unterschrieben.
Seit einiger Zeit ist die Auseinandersetzung auch in Washington ein Thema. Momentan liegen die Gegner der
net neutrality
vorne. Anfang Juni verabschiedete das Repräsentantenhaus den "Communications Opportunity, Promotion and Enhancement Act". Ein Zusatz, der Neutralität gesetzlich festschreiben sollte, scheiterte. Die Abstimmung im Senat steht noch aus.
Auch in Deutschland ist die Netzneutralität nicht gesetzlich
festgeschrieben. "Wir haben zwar Zusatzregeln im
Telekommunikationsgesetz, aber diese decken nicht explizit die
derzeitige US-amerikanische Debatte ab," erklärt Markus Beckedahl, der
den Blog
netzpolitik.org
führt. Auch hier könnte
net neutrality
bald zu einem heiß diskutierten Thema werden. Kai-Uwe Ricke,
Vorstandsvorsitzender der Telekom, sagte kürzlich in einem Interview,
dass Web-Unternehmen, die Infrastrukturen für ihr Geschäft nutzen,
"ihren Beitrag leisten" sollten. Dass unter gedrosselten Verbindungen
auch der Privatkunde zu leiden hätte, verschwieg er.