Net Neutrality
Internet in Gefahr
US-Telekommunikationsriesen leiten fremde Inhalte nur noch durch, wenn sie ihnen in den Kram passen. Das Ende der Netzneutralität?
Es begann mit unbedeutenden Fällen. 2005 legte sich die kanadische Telecommunications Workers Union mit dem Telefonriesen Telus an. Als die Gewerkschaft eine Internetseite einrichtete, reagierte das Unternehmen: Weil es die kritische Homepage blockierte, konnten Kunden von Telus die Protest-Seite nicht aufrufen. Im April dieses Jahres stoppte AOL alle E-Mails, die "www.dearaol.com" enthielten, den Link zu einer Website , die sich den Überlegungen des Internetanbieters widersetzte, Porto für den Versand von Mails zu verlangen.
In vielen Ländern verhindert die so genannte net neutrality derartige Aktionen. Das bedeutet: Die Telekommunikationsunternehmen unterscheiden nicht zwischen den Daten, die sie transportieren. Sie leiten alles anstandslos weiter und bevorzugen niemanden, auch wenn die Homepage Kunde bei einem anderen Anbieter ist. Ruft also ein Benutzer über Provider A eine Homepage auf, die bei Provider B angemeldet ist, behandelt Provider A die Daten genauso, als wenn es eine Seite eines eigenen Kunden wäre. Nur so ist es möglich, dass der Benutzer einen kleinen Blog genauso schnell aufrufen kann wie die Homepage von Time Warner.
In anderen Ländern hingegen ist die net neutrality bedroht. Gesetzlich festgelegt ist sie ohnehin nirgends. Auf der einen Seite stehen die Telekommunikationsunternehmen (Telkos), die access provider , die die Netzneutralität abschaffen wollen, auf der anderen Seite Unternehmen wie Google, content provider , und Privatkunden. Gerne argumentieren die Gegner von net neutrality mit der Freiheit des Internets, die sie durch eine Regulierung gefährdet sehen, wie bei der Kampagne Hands Off The Internet . Und warum sollten sie in besserere Leitungen investieren, wenn sie nicht mehr Geld für mehr Leistung kassieren dürfen?
In absehbarer Zeit werden Fernsehen, Telefon und Internet nur noch über einen einzigen Kanal, das Breitband, laufen. Aus diesem triple play wollen die Unternehmen die Konkurrenz heraushalten, vor allem die Anbieter von Internettelefonie, die die Leitungen der Provider für ihre Dienste nutzen. Das heißt konkret: Wenn ein Provider seinen eigenen Anbieter für Internettelefonie stärken möchte, kann er die Verbindung der Konkurrenz verlangsamen oder unterbinden, wenn net neutrality wegfällt. Ein anderes Beispiel: Wenn der Kabelnetzbetreiber Comcast seinen eigenen Musikanbieter Rhapsody durchsetzen möchte, kann er für seine Kunden beispielsweise die Verbindung zu iTunes bremsen. Politaktivisten fürchten zudem, dass alternative Webseiten und Blogs keine Chance mehr haben.
Gegen diese Haltung hat sich in den USA großer Widerstand organisiert, der überrraschende Allianzen schafft. Der Kampagne Save The Internet haben sich 761 Gruppen angeschlossen, darunter so unterschiedliche Organisationen wie die Gun Owners of America, die Christian Coalition of America und die Progressive Democrats of America. Mehr als eine Millionen haben eine Onlinepetition unterschrieben.
Seit einiger Zeit ist die Auseinandersetzung auch in Washington ein Thema. Momentan liegen die Gegner der net neutrality vorne. Anfang Juni verabschiedete das Repräsentantenhaus den "Communications Opportunity, Promotion and Enhancement Act". Ein Zusatz, der Neutralität gesetzlich festschreiben sollte, scheiterte. Die Abstimmung im Senat steht noch aus.
Auch in Deutschland ist die Netzneutralität nicht gesetzlich festgeschrieben. "Wir haben zwar Zusatzregeln im Telekommunikationsgesetz, aber diese decken nicht explizit die derzeitige US-amerikanische Debatte ab," erklärt Markus Beckedahl, der den Blog netzpolitik.org führt. Auch hier könnte net neutrality bald zu einem heiß diskutierten Thema werden. Kai-Uwe Ricke, Vorstandsvorsitzender der Telekom, sagte kürzlich in einem Interview, dass Web-Unternehmen, die Infrastrukturen für ihr Geschäft nutzen, "ihren Beitrag leisten" sollten. Dass unter gedrosselten Verbindungen auch der Privatkunde zu leiden hätte, verschwieg er.
31 /
2006
Zuender