Street Art
Doch noch eine Weltsprache?
Unsere Zukunft wird aussehen wie ein knallbunter Manga-Trickfilm. Die Characters sind auf dem Vormarsch, denn sie werden überall auf der Welt gleich verstanden
von Crisse Küttler
Unsere Zukunft wird aussehen wie ein knallbunter Manga-Trickfilm. Überall um uns herum werden Comicfiguren sein, die uns anlächeln und zuwinken - ob mit kommerziellen Werbegedanken oder politischer Aussage. Die Characters sind auf dem Vormarsch, denn sie haben einen entscheidenden Evolutions-Vorteil: Sie werden überall auf der Welt gleich verstanden. Der Manga-Fan aus Japan, ebenso wie der deutsche Bausparer oder der bolivianische Analphabet - sie alle lesen die Figuren gleich.
Characters kommen häufig aus einer ähnlichen Szene wie die Streetart, oft sind sie das Produkt von Grafik-Designern. Sie heißen Hello Kitty, Emily the Strange oder Obey Giant. Seit über fünf Jahren archiviert das Projekt Pictoplasma solche Figuren. Am vergangenen Wochenende luden sie zu Characters in Motion ins Kino.
Zwei ganze Tage liefen Animationsfilme im ehemaligen Stummfilmkino Babylon in Berlinbegleitet von Konzerten und Vorträgen. Doch das Gefühl, eine neue Subkultur entdeckt zu haben, stellt sich schnell als falsch heraus. Nicht wenige der Stars bereits an eine Merchandise-Maschine angeschlossen. Mit Hello Kitty macht die japanische Firma Sanrio ein Milliarden-Geschäft, obwohl die Katze nichts weiter ist als eine misslungene Zeichnung. Das meinte zumindest ihr Schöpfer. Er ließ 1974 das Bild nur probehalber auf ein Portemonnaie drucken.
Ganz anders dagegen die Entstehungsgeschichte von Obey Giant. Während sich Hello Kitty an Oilily-Mädchen und diddlmäusige Sekretärinnen richtet, ohne dass jemals für das Katzenbild Werbung gemacht wurde, hat Obey Giant einen Propaganda-Feldzug geführt, ohne ein Produkt anzubieten. Der Designer hatte zunächst seine Heimatstadt mit dem Bild eines zweitklassigen Wrestlers zugepflastert. Dann weitete er seine Kampagne über die ganze USA aus. Immer mehr Menschen fragten nach dem Sinn, doch dahinter steckte nichts weiter als die Aufkleber, Plakate und Pins selbst: Streetart.
In Japan gibt es Firmen, die darauf spezialisiert sind, Nebenfiguren für Mangas zu entwickeln. Der explodierende Markt hat dafür eine Nachfrage erzeugt, weil den Zeichentrickentwicklern die Zeit fehlt, jeden Charakter auszuformulieren. So werden billige Figuren gekauft, die sich wie Statisten im Hintergrund aufhalten oder als Kanonenfutter herhalten müssen. Die meisten von ihnen finden ein schnelles, oft blutiges Ende.
Die Künstler Pierre Huyghe und Philippe Parreno kauften eine dieser Figuren, Ann Lee. Sie war äußerst billig und hatte kaum Charakterzüge. Durch den Kauf bewahrten die beiden Franzosen sie nicht nur vor ihrem Tod, sondern entwickelten ihren Charakter weiter, gaben sie an andere Künstler, die sie ebenfalls weiter mit Leben füllten. Inzwischen ist Ann Lee Stammgast auf den wichtigsten Kunstmessen der Welt.
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