Liebe
Es liegt was in der Luft
Die Kolumne von Selim Özdogan
Sonntag Morgen, zehn Uhr, meine Mutter ruft an und fragt, wie es so geht. Wir haben uns seit Monaten nicht gesehen, nur telefoniert. Wir reden ein paar Takte und schon in der zweiten Minute fragt sie: Hast du Besuch?
Nein, sage ich, Mama, es ist Sonntag morgen, woher sollte ich um diese Zeit Besuch haben?
Sie räuspert sich, zögert, dann: Naja, ich wollte wissen, ob du vielleicht eine neue Freundin hast.
Das ist also ein Kontrollanruf, sage ich. Versuche es wie einen Scherz klingen zu lassen, aber wir wissen beide, daß es mehr ein Vorwurf ist.
Das ist ihr erster Anruf dieser Art überhaupt, ich weiß nicht, warum ich sofort genervt bin.
Drei Wochen vergehen und meine Tante ruft mich an. Sie ist jemand, der glaubt, daß wenn die Stunde geschlagen hat, der Engel des Todes einem in der Gestalt eines Menschen erscheint, den man liebt, damit man sich nicht erschreckt. Sie glaubt in ihrem Fall wird der Engel meine Gestalt annehmen.
Sie erzählt, sie habe diese Nacht von mir geträumt.
Du wolltest mir deine neue Freundin vorstellen, sagt sie, sie hieß Ciğdem , aber irgendwie war sie nicht da. Ich habe dich gefragt: Wo ist sie denn? Und du hast gesagt hier, aber ich konnte sie nirgends sehen. Obwohl ich sogar ihren Namen wußte. Ich habe überall geguckt, konnte sie aber nirgends entdecken.
So geht es mir auch, sage ich, ich schaue überall, aber ich kann sie nicht finden. Und ich wußte nicht mal ihren Namen.
In kurzer Zeit zwei Anrufe von zwei Menschen, deren Intuition mich immer beeindruckt hat. Auf einmal packt mich eine Vorfreude, als läge etwas in der Luft, von dem ich selber noch nichts weiß. Eine Frau.
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